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Aluka Miranda

(Eine Geschichte von Stephanie Tallen und Frédéric Weymann)

 

Widmung

Diese Geschichte widmen wir (Frédéric und Stephanie) unserer lieben Freundin Ruth, die den Mut aufgebracht hat um für ein Jahr ins Ausland zu gehen und sich seit September `98 in einem Camphill-Dorf in Frankreich aufhält, in dem sie noch bis Ende Juni `99 leben, wohnen und arbeiten wird.

Wir wünschen Dir alles Liebe und Gute...

Amen ;-)

 

Vorwort

 

Um diese Geschichte zu verstehen bzw. die darin enthaltenden Anekdoten, solltest Du, lieber Leser, folgende Geschichten von uns gelesen haben: "Trust no one – The truth is now there (Pseudo-Drehbuch)" und unser zweites Drehbuch, das leider nicht veröffentlicht wurde... (hahaha), und Du solltest Dir folgende Serien, Filme und Werbungen ansehen bzw. sie kennen: "Akte X" (sämtliche Folgen auswendig...!!!), "The Simpsons" (eine Anekdote), "Switch" (besonders die "Nelly van Sale Home Show"), "The Truman-Show" (mehrere Anspielungen), "Werbung für unbekanntes Badezimmer-Reiningungs-Produkt" (...), und zu guter Letzt sollte der Inhalt folgenden Buches bekannt sein: "Das Buch der Vampire" von Matthew Bunson, welches garantiert auch für die Akte X Folge "Böses Blut" angewandt wurde.

Aber jetzt der wichtigste und wohl auch bedeutendste Hinweis: diese Geschichte kann auch ohne oben genannten Vorkenntnisse gelesen und verstanden werden... ;-)

 

Und hier die Geschichte!

Viel Spaß damit...

 

Aluka Miranda

 

"Steht auf aus euren Betten, der neue Tag ist erwacht...". Laut singend wanderte Joshua durch das Haus, sein Akkordeon auf- und zuziehend. Vor jeder Tür blieb er mindestens eine halbe Stunde stehen und beglückte die dahinter gerade noch sanft schlummernde Person mit seinem melodischen Gesang. Als es ihm mehrere Stunden später endlich gelungen war, die Hausinsassen aus ihren Betten zu locken, versammelte sich die kleine Gemeinschaft im Esszimmer, um sich mit einem reichlichen Mahl den Magen vollzuschlagen.

Petra, die erst vor wenigen Tagen als Praktikantin im kleinen Miranda-Dorf inmitten der unendlichen Kornfelder Kansas angefangen hatte und die nebenbei auch noch eine Bekannte von Mulder war, gähnte laut und vulgär auf und wandte sich dann an den Hausvater, der gerade dabei war, sein Akkordeon im feuerfesten, vergoldeten und mit Edelstein besetzten Tresor vor Anschlägen zu sichern.

"Gähn, wieso werde ich eigentlich schon um drei Uhr morgens geweckt?"

Mit einem Ruck verschloss Joshua die mit einem Retina-Scanner gesicherte Tresortür und drehte sich dann zu ihr um, ein breites, diabolisches Lächeln auf seinem Gesicht.

"Naja, wie sollen wir es sonst schaffen, rechtzeitig um sieben mit dem Frühstück anzufangen, wo doch jeder darauf brennt, mindestens dreißig Minuten meinen neusten Kompositionen zu lauschen?"

"Die zufällig alle den selben Text haben..." bemerkte Uhrt trocken, während sie dabei war, ihr zehntes Brötchen in einem Bissen zu verschlingen.

Hinterhältig lachend antwortete Joshua daraufhin mit den Worten "Ich kann euch natürlich auch aus dem Bett peitschen, wenn euch das lieber ist, hahahahahahaha!"

Von der Brutalität dieser Situation überwältigt, erlitt Mösha spontan einen extrem starken epileptischen Anfall.

Zum Glück hatten alle anderen sieben Bewohner des Hauses ihre Notfallkoffer mit zum Frühstück genommen und begannen sofort damit, auf die zu Boden Gestürzte einzustürmen und sie mit krampflösenden Mitteln vollzupumpen.

Gerade als der Anfall vorübergegangen war und Joshua, Petra und die anderen gerade das harmonische Frühstück fortsetzen wollten, erklang das mehrfach verstärkte und durch Tausende verstecke Lautsprecher in jede Ecke des Dorfes übertragene Geläut der Dorfglocke, um alle Einwohner zum allmorgendlichen Treffen zusammenzurufen.

"Tja, das war's dann wohl mit unserem ersten Festmahl des Tages... Vielleicht sollte ich morgen schon um zwei Uhr anfangen, euch zu wecken, damit wir ein wenig mehr Zeit haben...", überlegte Joshua laut und verließ das Haus, um sich in die große Dorfhalle zu begeben. Hätte er die Blicke seiner Mitbewohner gesehen, hätte er garantiert seinen Schritt beschleunigt... Die anderen protestierten jedoch nicht, sondern begnügten sich damit, ihm stöhnend in die Halle zu folgen.

Draußen war das Glockengeläut noch um einiges lauter und alle hielten sich mit schmerzverzerrten Gesichtern die Ohren zu.

"Kann man das nicht leiser stellen?", schrie Petra zu Uhrt hinüber.

"Waass?!", gab diese zurück und machte ein fragendes Gesicht.

"Kann man das nicht leiser stellen?", wiederholten Petra ihre Frage.

"Waaasss?!", war wieder Uhrts Reaktion und Petra winkte kopfschüttelnd und entnervt ab.

In der Halle angekommen schloss der letzte schnell die Tür hinter sich und abrupt verstummte jegliches Geräusch. Nichts war mehr zu hören.

Leicht verwirrt schaute sich Uhrt um und warf einen zweifelnden Blick auf die schäbige Tür, die keinesfalls einen schalldichten und komplett isolierenden Eindruck machte. Zur Probe öffnete sie die Tür wieder einen Spalt breit, worauf sie fast von ohrenbetäubendem Geläut erschlagen wurde. Schnell zog sie die Tür wieder zu und sah sich verstohlen um, doch niemand hatte etwas bemerkt. So setzte sie sich auf eines der freien Nagelbretter, die auf dem Boden der Halle ausgelegt waren.

Als sich alle gesetzt hatten, erhob sich Hark von Miranda, der Dorfälteste, der eine blau-rosa-karierte Robe trug, die ihm nicht einmal über die Knie reichte. Er stieg eine Empore hinauf, wodurch für alle anderen der Blick unter die Robe gewährt wurde.

Gebieterisch breitete er seine Arme aus.

"Meine Kinder... es wird Zeit für unsere morgendliche Sexorgie! Die erste Gruppe hat Spaß, während die andere zur Tarnung singt, damit es nach außen hin völlig harmlos erscheint, was wir hier treiben... Danach wird gewechselt! Hahaha..."

Mit lustvollen Schreien riss sich darauf hin die erste Gruppe der Gemeine die Kleider vom Leib.

Uhrt und Petra gehörten der zweiten Gruppe an und begannen schon einmal mit lustigen Stimmübungen.

"Saaa dooooo.... lalala... Sa-ha, do-ho! ..."

"Ahh, ahhhh... ahhhh, ahh..."

"..."

Französische Volkslieder waren das Resultat.

 

***

 

"Ja, Scully geben Sie alles, jajajajajajaJAAAA, vergewaltigen Sie mich... ich meine natürlich die Kamera."

Laut schreiend und wild fotografierend sprang Mulder um die in Akten lesende Scully herum und gab dabei laute Stöhngeräusche von sich.

"Mulder, lassen Sie diesen Unsinn," gab Scully nüchtern zurück, "ich lese gerade in einer hochinteressanten Akte."

Mit einem gekonnten Handgriff entriss Mulder Scully die Akte und hielt sie hoch über seinem Kopf, um darin zu lesen. Zwar versuchte Scully verzweifelt, die Akte zurückzuerlangen, doch sie war leider zu klein, um auch nur den Ellbogen des ausgestreckten Armes zu erreichen.

"Mulder, geben Sie mir augenblicklich die Akte wieder."

"Vergessen Sie es, Scully. Der Inhalt ist fürwahr fesselnd".

Scully wollte gerade aufgeben, da durchzuckte sie eine geniale Idee. Rasch durchkramte sie eine ihrer Jackentaschen und fischte ein halbes Dutzend von unangespitzten Bleistiften heraus. Lockend winkte sie damit vor Mulders Gesicht hin und her.

"Sie bekommen im Gegenzug auch die Stifte von mir."

Mulders Gesicht verzog sich zu einer manischen Grimasse.

"SUUPPPER, her damit." Mulder ließ die Akte auf den Schreibtisch fallen, griff nach den Schreibutensilien in Scullys Hand und eilte damit zum elektronischen Bleistiftanspitzer. Augenblicklich wurde der Raum von einem leisen Brummen durchströmt.

Erleichtert ließ sich Scully wieder in den Schreibtischstuhl fallen und setzte ihre Lektüre fort. Mulder würde die nächsten paar Stunden beschäftigt sein... doch das Schicksal meinte es nicht gut mit ihr, denn kaum hatte ihr wohlgeformter Hintern das weiche Leder des Stuhles herniedergedrückt, als auch schon die Tür aufflog und ein unerwarteter Besucher das Büro betrat. Scullys Lippen formten sich zu einem stummen Schrei, während ihre Hand langsam zur Waffe fuhr, um Phoebe Green gebührend zu empfangen...

"Stirb, du Sau!"

Der Abzug klickte. In der Hektik hatte sie doch tatsächlich vergessen, die Waffe zu entsichern. Na, so ein Pech aber auch...

Gerade wollte sie ihren Fehler beheben, da löste sich Phoebe auch schon in Flammen auf und ließ nichts als eine Rauchwolke zurück.

Scully konnte gerade noch eine geisterhafte Schemengestalt von Cecil L'ively ausmachen, die sich unter irrsinnigem Gelächter ebenfalls in Luft auflöste.

Kopfschüttelnd wandte Scully ihren Blick wieder von der Tür ab.

"Was ist denn los, Scully?", fragte Mulder, der seine Anspitzorgie unterbrochen hatte. "Warum zielen Sie mit Ihrer Waffe auf die Tür?"

"Äh..., ach, ich dachte gerade... Ach, vergessen Sie es, Mulder. Ich wurde nur gerade von Geistern der Vergangenheit heimgesucht, die scheinbar noch keine Ruhe gefunden haben."

"Ach so", Mulder hörte schon gar nicht mehr zu und wandte sich wieder seinen Bleistiften zu.

Scully steckte schnell ihre Waffe wieder ein und fuhr fort, in ihrer Akte zu lesen. Doch ein Gedanke ließ sie nicht zur Ruhe kommen: Seit wann waren Phoebe Green und dieser Pyromane Cecil L'ively eigentlich tot? Geschah das nicht nur in einer anderen Kurzgeschichte, die noch gar nicht veröffentlicht und nicht mal vollendet worden ist?

Innerlich zuckte sie mit den Schultern, es war ihr egal, solange diese Phoebe ihr nicht auf die Nerven fiel, und so widmete sich Scully wieder ihrer Arbeit.

Plötzlich, die dramatische Stille durchbrechend, klingelte das Telefon auf Mulders Schreibtisch und begann tausend verschiedene Melodien zu spielen.

Entsetzt warf Scully einen Blick zu ihrem Partner herüber, der allerdings nicht die geringsten Anstalten machte, den Hörer abzuheben und damit dieses nervtötende Gespiele zu beenden.

"Mulder, was ist denn DAS?!"

Mulder blickte auf, sah sie fragend an, und wurde dann erst aus seiner Anspitztrance gerissen, so dass er endlich das Telefon bemerkte.

"Ach, das... Ich habe es mir installiert, als Sie in Urlaub waren, ich hatte ja nichts weiter zu tun. ... Ich meine natürlich..."

"Nun gehen Sie schon ran, Mulder!"

Schnell griff dieser zum Hörer, um einen Wutausbruch seiner Partnerin zu vermeiden. "Hallo?", fragte er in den Hörer.

"Oh, du bist es, Petra, wie geht es dir?"

Scully sah Mulder an und formte dabei fragend den Namen "Petra" mit ihren Lippen, wobei sie die Augenbrauen hochzog.

Mulder winkte ab, hielt kurz die Sprechmuschel zu, flüsterte ein "Später" zu ihr herüber und wandte sich dann wieder dem Telefongespräch zu.

"Was, du bist wo? In einem was-Dorf?! Miranda?

Wie bist du denn da gelandet? Wolltest du nicht in ein Camphill-Dorf?

Ach so, es ist fast das gleiche...

Es ist WAS passiert?!

In Ordnung, wir kümmern uns darum."

Scully sah entsetzt auf, wieder einmal das Schlimmste erwartend.

"Gut, wir kommen dann so schnell wie möglich vorbei", mit diesen Worten legte Mulder auch schon den Hörer auf die Gabel.

"Scully, wir haben einen Job!"

"Ja, und zwar beim FBI um Fälle zu bearbeiten, die uns aus seriösen Quellen zugeteilt werden..."

"Glauben Sie mir, Scully, dieser Fall ist hochseriös, keine Sorge. In einem kleinen Dorf haben sich einige Todesfälle ereignet, die bisher ungeklärt geblieben sind."

"Ist das nicht ein Fall für die zuständigen örtlichen Behörden?", seufzte Scully, kaum noch mit einem Erfolg ihrer Überredungstaktik rechnend. Und sie sollte recht behalten. Mit siegessicherer Miene verkündete Mulder ihr: "Nicht, wenn es sich bei den unmittelbar Betroffenen um eine gute Bekannte handelt. Also kommen Sie schon mit, Scully! Sie haben sowieso keine Chance, sich hier noch herauszuwinden."

Er zerrte sie mit sich auf den Flur und in den Fahrstuhl hinein.

 

***

 

"Hallo.... ich heiße Wendy und bin nackt."

"Ich bin auch nackt, Mulder und will jetzt hemmungslosen Sex mit Ihnen, während wir über den Highway jagen...", kam auch schon die Antwort einer weiblichen Stimme, die sich exakt wie die von Scully anhörte...

Entsetzt schrie Scully auf, als sie hörte, was auf der Kassette war, die sie per Zufall während der Fahrt ausgewählt und ahnungslos in das Autoradio geschoben hatte... "Woher haben Sie denn das? So etwas habe ich doch nie gesagt!"

"Sie natürlich nicht, aber Frohikes Computer schon..." Rasch fügte er hinzu: "Natürlich hat er sie NICHT für MICH angefertigt. Ich habe sie zufällig bei ihm entdeckt und rasch konfisziert... aber das versteht sich natürlich von selbst."

"Und wieso sagt dann mein digitales Ebenbild `Ich bin auch nackt, MULDER?` Müsste es nicht in diesem Falle FROIHKE heißen?" Sie öffnete das Fenster und warf die Kassette heraus. Diese flog einige Meter, bevor sie die Frontscheibe eines weiter hinten fahrenden Wagens durchschlug.

"Hihaho, ich bin die Weihnachtsfrau!", rief Scully plötzlich aus.

"Was?!?"

"Ach nichts, vergessen Sie es einfach. Ich falle jetzt mal eben für kurze Zeit ins Koma, damit wir bis zur Ankunft in der Kleinstadt nicht miteinander reden müssen."

"Waasss!?" Mulder starrte Scully entsetzt an.

Das können Sie doch nicht einfach machen! Wem sonst soll ich denn auf der Fahrt meine überaus interessanten Theorien und brisanten Neuigkeiten unterbreiten...?"

Scully seufzte. "Ich sehen schon, es gibt keinen Ausweg Ihnen zu entkommen..." Und mit eiserner Standhaftigkeit und dem Glauben an eine heile Welt, überstand Scully auch diese Fahrt mit ihrem Partner. Und sie war froh, als der Wagen durch den einladenden, hölzernen Torbogen fuhr, der sie in das Miranda-Dorf einlud.

Jetzt konnte es nicht mehr weit sein.

Mulder lenkte den Wagen über eine holprige, von Schlaglöchern übersäte, staubige Straße. Die beiden Agenten hatten Mühe, sich aufrecht in ihren Sitzen zu halten.

Ab und zu kamen ihnen Leute auf Fahrrädern entgegen, die ihnen freundlich lächelnd zuwinkten.

"Kommt es mir nur so vor, oder sind die Hinterreifen der Räder allesamt so gut wie luftleer gewesen?", murmelte Mulder vor sich hin und schüttelte mit dem Kopf.

Die Sonne stand hoch am Himmel und da freundlicherweise die Klimaanlage des Wagens unter den Vibrationen zu Bruch gegangen war, hatten sie sämtliche Fenster heruntergekurbelt um wenigstens etwas erfrischenden Fahrtwind abzubekommen.

"Mulder, sehen Sie", rief Scully plötzlich aus und wies rechts von sich aus dem Fenster. "Dort steht ein altes Schloss."

"Sieht mystisch aus", stellte Mulder fest, als er zu dem alten Gemäuer herüber sah. "Wieso ist es wohl von so hohen Mauern umgeben? Ob dort wohl jemand lebt?"

"Ich kann es mir nicht vorstellen...", meinte Scully, doch in diesem Moment: "Sehen Sie, Scully, die Lichter sind angegangen!"

Scully sah herüber, und tatsächlich, die Fenster waren nun hell erleuchtet. Da das Gemäuer trotz der Sonne irgendwie im Dunkeln zu stehen schien, war das Licht im Inneren gut zu erkennen."

"Ich sehe gar keine Leute an den Fenstern", stellte Scully fest, nachdem sie das Schloss eine Weile beobachtet hatte.

"Vielleicht lebt dort doch niemand mehr und das Licht ist bloß zeitgesteuert...", spekulierte Mulder.

"Wozu?!", fragte Scully sofort.

Mulder zuckte mit den Schultern. "Vielleicht..."

"Mulder, haben Sie das eben gehört?", unterbrach ihn Scully plötzlich.

"Ja", Mulder nickte. "War das ein Schrei?"

"Ich glaube schon... da! Schon wieder!"

Schreie gellten durch die Luft zu ihnen herüber.

"Kommen die vom Schloss?"

"Vielleicht wissen die Leute im Miranda-Dorf mehr dazu, Scully. Wir sind da."

"Miranda...", Scully schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen. Was kam da nun wieder auf sie zu...

Bald schon sollte sie es wissen!

Denn kaum hatten sie den Wagen am Rand des Weges abgestellt - befestigte und ausgebaute Straßen gab es nicht - , eilte auch schon eine Horde von Menschen auf sie zu. Die beiden Agenten hatten Mühe, sich gegen die Wagentüren zu stemmen um sie öffnen und aussteigen zu können. Wild um sich schlagend bahnte sich Scully einen Weg zu Mulder.

"Mulder, wo sind wir?!"

"Haben sie die Inschrift des Torbogens denn nicht gelesen, oder eines der dreihundertundsiebenunddreißig Wegschilder, die ich ihnen auf dem Weg hierher laut vorgezählt habe?" Er sah seine Partnerin kopfschüttelnd an. "Wo waren Sie nur mit Ihren Gedanken, Scully...?"

Scully verdrehte nur die Augen und dachte mit Schrecken an diese Autofahrt zurück, die sie wider Erwarten überlebt hatte. Und offensichtlich sogar ohne große psychische Schäden. Allerdings vermutete sie gravierende Langzeitschäden, die sich erst noch zeigen würden...

Scully schüttelte diese Gedanken ab, und versuchte sich auf den Fall zu konzentrieren, obwohl sie weder wusste, ob es einen solchen überhaupt gab...

"Kinder, Kinder!", schallte eine kräftige Stimme durch das Gemurmel und Gerede der Menschen. "Geht wieder eurer Arbeit nach und lasst unseren Besuchern etwas Luft zum Atmen!"

Wie durch einen Zauber löste sich die Menge auf und verteilte sich in die Häuser, auf die Äcker und sonstwo hin. Plötzlich standen sie alleine auf dem Platz, der der zentrale Ort des Dorfes zu sein schien. Alleine, mit dem Mann, dessen Worten die Menge blind gefolgt war.

Scully vermutete natürlich sofort eine extreme Art von Massenhypnose, Gehirnwäsche oder ähnlichem und beobachtete alles aufmerksam und höchst analytisch.

"Darf ich mich vorstellen, ich bin Hark von Miranda, der Dorfälteste", begann der Mann und trat auf sie zu. "Aber Sie dürfen mich auch gerne `Dorfältester Hark von Miranda´ nennen..."

Jetzt zog selbst Mulder eine Augenbraue in die Höhe.

Der Älteste fuhr fort: "Petra hat mir bereits berichtet, dass Aussensei... ähm... Freunde von ihr kommen werden. Seien Sie willkommen."

"Wo ist Petra?", fragte Mulder dazwischen, was ihm einen schwer zu deutenden Blick des Alten einbrachte. Doch schließlich bekam er seine Antwort: "Sie ist bei der Arbeit und wird diese erst gegen Abend beendet haben. Aber bis dahin könnte ich Ihnen einen Einblick in die Geschehnisse der letzten Tage geben."

"Das wäre wirklich sehr nett", gab Scully zurück um sich auch an dem Gespräch zu beteiligen.

"Treten Sie ein in mein Haus", der Alte machte eine einladende Geste, die Scully sehr an gewisse Filme erinnerte, in denen die Mächte des Bösen ihre unschuldigen Opfer in die Falle und damit in die Verdammnis lockten.

Widerwillig folgte sie Mulder hinein.

 

***

 

"Und hier befinden wir uns im..." Hark breitete die Arme weit aus, atmete sehr tief ein und stieß mit der Luft laut stöhnend die Worte "Arterien-Flur!" aus. "Spüren Sie nicht, wie ätherische Kräfte des Kosmos diese amorph geformten Flure durchfließen und uns mit neuer Kraft und Kreativität versorgen?"

"Sehr schön", antwortete Scully trocken, "Wo ist bitte die Toilette?"

"Was? NEIIINNN!!!" Das Gesicht des Alten verzehrte sich zu einer Grimasse aus unendlicher Qual und Pein, während er mit für sein Alter unmöglicher Geschwindigkeit Richtung eines riesig-großen Panik-Buttons an der Wand eilte.

Sofort Scully schlug zwei Räder und konnte den Kopf des Ältesten zwischen ihren Beinen einklemmen.

"Nein, nein, nicht das Bad." Laut keuchend und stöhnend kämpfte sich Hark weiter in Richtung des rettenden Schalter, seinem Körper zum Äußersten treibend.

"Halten Sie ihn auf, Mulder. Er darf den Schalter nicht berühren." schrie Scully aus voller Kehle, während sie den Kopf ihres Opfers mit Faustschlägen bearbeitete... Endlich erwachte auch Mulder, der sich bis jetzt dank der herrschenden Ansammlung kosmischer Mana-Energie in Trance befand und gerade dabei war, seine Inneres mit der alles durchströmenden Kraft in perfekten Einklang zu bringen. Seine rechte Hand schnellte zu seiner Dienstwaffe, doch es war zu spät. Mit letzter Kraft erreichte Hark den Schalter und betätigte ihn.

Lautes Klacken durchdrang die Stille des Hauses. "Sie sollten wissen, dass von diesem Moment an alle Toiletten- und Badezimmertüren durch jeweils acht aus Diamantenstahl gefertigten Riegel gesichert sind. Selbstverständlich habe ich vorsorglich auch in die Türen und alle Wände dieses Hauses dicke Diamantenstahlplatten installieren lassen... ich muss ja nicht dafür zahlen..." Mit diesen Worten begann der Älteste laut aufzulachen und sein wieherndes Gelächter erfüllte den Flur und den gesamten damit verbundenen Kosmos. Scully und Mulder konnte sich nur still in die Augen blicken. Sie hatten verloren.

Endlich war Mulder in der Lage zwei Worte auszustoßen: "Ein Teufelskreis..."

"Verdammt Mulder, wieso darf ich eigentlich niemals eine Toilette benutzen? Ich durfte seit meiner Geburt noch nie diesem natürlichen Bedürfnis, von dem alle immer sprechen, nachgehen..."

 

***

 

"Fragen Sie mich nicht, ich bin auch noch nie auf einer gewesen... Zumindest nicht, wenn uns die Leute zusehen..."

"Wer sollte uns denn zusehen, Mulder? Was für Leute denn?!", fragte Scully verständnislos und ein Hauch von Ärger mischte sich in ihren Tonfall.

Mulder dachte über seine eben gesagten Worte nach, schüttelte dann ratlos mit dem Kopf. "Das weiß ich allerdings auch nicht, Scully. Ich habe keine Ahnung, wen ich meine... Ach, was soll's. Wer sollte uns schon zusehen? ... Es sei denn..." das typische Funkeln trat in Mulders Augen "Scully, was wäre, wenn wir uns in einer einzigen Fernsehshow befinden würden?"

Scully starrte ihn an.

"Alles wäre gestellt, niemand wäre der, den er vorzugeben scheint..."

Sie starrte ihn an. Verständnislos.

"Niemand wäre echt! Alle wären eingeweiht, Statisten, Schauspieler..."

Entsetzen machte sich auf ihrem Gesicht breit, verunstaltete es langsam zu einer Grimasse.

"Nur wir wären die einzigen, die davon nichts wüssten... Die ganze Welt könnte uns in diesem Augenblick zusehen, Scully! Stellen Sie sich das doch nur mal vor!"

Mulder wedelte wild mit den Armen.

Scully starrte ihn an.

"Oder...", erschrocken sah Mulder seine Partnerin plötzlich an. "Oder nur ich bin der einzige, der davon nichts weiß und selbst Sie sind nur eine Fälschung...!"

Misstrauisch betrachtete er nun Scully, sah sie scheinbar in einem völlig neuen Licht, doch bevor er sich weitere Gedanken machen und vielleicht hinter die Wahrheit des großen Geheimnisses kommen konnte, schaltete sich Scully energisch dazwischen.

"Mulder, wovon um Himmels Willen, reden Sie da?!" Noch immer lag Entsetzen in ihren Augen, das nicht ganz zu der Situation passte. Versuchte sie, etwas zu verbergen?

"Mulder?", fragte sie vorsichtig.

Keine Reaktion.

"Mulder, Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass sie der Hauptdarsteller einer lächerlichen 24-Stunden-Serie sind, die rund um den Globus ausgestrahlt wird, oder?"

Bevor Mulder antworten konnte, regte sich der Älteste zur Abwechslung auch mal wieder, nachdem er diesen höchst interessanten Dialog der beiden gefolgt war, oder es zumindest versucht hatte.

"Worüber reden Sie beide da eigentlich?"

Mulder wurde aus seinen Gedankengängen gerissen und sah zu Hark herunter, der immer noch auf dem Boden lag. Inzwischen hatte er jedoch seinen Kopf aus Scullys unbarmherzigem Scherenmove befreien können.

Erwartungsvoll sah Scully ihren Partner an, eine Antwort erwartend.

Für einen kurzen Moment noch schien Mulder seine Theorie in Erwägung zu ziehen, schüttelte jedoch dann den Kopf und grinste. "Was für eine lächerliche Vorstellung, oder? Ich meine, wer würde sich denn solch eine Serie schon ansehen?!"

"Äh... genau, Mulder", stimmte Scully zu. Erleichtert über diesen Sinneswandel. Aber, warum war sie überhaupt besorgt? Müsste sie nicht solch bizarre Theorien ihres Partners bereits zu Genüge gewöhnt sein? Oder handelt es sich womöglich um keine Theorie? Tja, wir wissen es nicht... Aber vielleicht eines Tages... wenn zufällig ein Filmscheinwerfer vom Himmel fallen und vor Mulders Füßen landen sollte...

"Wo waren wir stehengeblieben?", fragte Mulder dann und sah seine Partnerin und den am Boden liegenden Dorfältesten an. Dann fiel es ihm wieder ein.

"Ach ja, Sie wollten uns nicht ins Bad lassen und haben dies auch mit recht bizarren und übertriebenen Mitteln geschafft... Warum eigentlich?", fragte Mulder dann.

"Naja", begann Hark zögernd. Wurde er etwa rot? "Ich... ich hab' das Bad heute noch nicht sauber gemacht..." Dann verdunkelte sich sein Gesicht und ein Schatten den Zorns und Ärgers legte sich darüber. "Beziehungsweise ist meine Haussklavin... ich meine natürlich... meine Jahrespraktikantin noch nicht so schnell gewesen!" Er stand auf und sogleich ertönte ein gellender Schrei durch den Flur, der sich dank der wunderbaren Architektur des Hauses in sämtliche Räume fortsetzte: "Uhrt!!!"

"Uhrt?!", fragten Scully und Mulder wie aus einem Munde.

"Ja, das ist mein Name", erklang eine Stimme hinter ihnen.

Die beiden Agenten drehten sich um und standen einer jungen Frau gegenüber, die erst im Januar die 20 Jahre erreicht hatte...

"Sie sind Uhrt?", fragte Mulder.

"Ja, Uhrt Hanslang, ich bin eine der vielen Praktikantinnen hier im Dorf."

"Aha...", meinte Mulder nur und nahm es zur Kenntnis, ehe er fortfuhr. "Apropos Praktikantin... wissen Sie vielleicht, wo Petra ist? Ich meine, Sie war es schließlich, die uns hierher gebeten hatte, um gewissen Vorfälle zu klären, die sich hier ereignet haben sollen, aber ich habe sie bisher noch nicht zu Gesicht bekommen"

"Nun, Petra ist noch bei der Arbeit", entgegnete Uhrt, wobei sie dem Alten einen kurzen Blick zuwarf. "Aber ich kann Ihnen auch weiterhelfen, da ich nun mit meiner Arbeit fertig bin. Oder besser gesagt, diese nicht fortsetzen kann, da jemand das Bad verriegelt hat, und das für die nächsten paar Stunden..."

"Also schön", meinte Scully dann zustimmend. "Was ist hier passiert?"

 

***

 

Uhrt bedeutete den beiden Agenten mit einer Geste, ihr zu folgen. Sie durchquerten den Arterienflur, bis sie an eine rötlich-braune Tür gelangten. Die Arme spirituell umherwirbeltend, begann Uhrt zu sprechen: "Dies ist der Lebensspender, die Lebenszelle unseres Haus, die Quelle von Leben und Energie, die uns jeden Tag aufs Neue mit dem Notwendigen versorgt." Sie öffnete die Tür und gab den Blick frei auf einen sechseckig geformten Raum, deren Wände sowie Decke und Fußboden mit dem selben Farbton wie die Tür gestrichen waren. In der Mitte stand ein großes kugelförmiges Gebilde, welches einen etwas dunkleren Braunton hatte und scheinbar durch eine große Luke geöffnet werden konnte. Ihre vor Mystik sprühende Gestik und Sprachweise beibehaltend, fuhr Uhrt fort: "Dies ist der Zellkern, das Zentrum der Zelle, der Speicher der Lebensinformationen. Treten Sie bitte ein..." Beinahe schwebend tänzelte Uhrt in den Raum und vollführte dabei auf der Türschwelle eine kunstvolle Pirouette.

Gebannt und wieder kurz vor einer Trance folgte ihr Mulder. Scully dagegen stampfte demonstrativ in den Raum, blickte sich kurz um und meinte dann ohne jeglichen Anflug von Gefühl: "Die meisten Menschen würden diesen Raum als Speisekammer mit Tiefkühlschrank in der Mitte bezeichnen." Ungeduld schlich sich in ihre Stimme. "Gut, warum haben Sie uns jetzt in dieses architektonisch-farbliche Desaster geführt? Ich könnte jetzt zu Hause auf dem Christian Channel die vierstündige Predigt von Pastor Clustermay verfolgen und jedes seiner Worte mit der Gemeinde nachsprechen. Aber nein, statt dessen muss ich durch dieses schreckliche Haus laufen, auf dem ich nicht einmal die Toilette ansehen geschweige denn benutzen darf und muss das psychedelische Gerede einer Wahnsinnigen ertragen. Ich will jetzt sofort erfahren, warum ich die sechsstündige Fahrt auf mich genommen habe, um hierher zu kommen oder ich hole die Chronik aus dem Wagen!!" Mulders Augen weiteten sich, als er dieses unheilvolle Wort aus Scullys Mund vernahm. Scully warf ihm ein leichtes Lächeln zu. "Und Sie wissen ja, was das bedeutet, Mulder, nicht wahr?"

Mulder begann wild mit dem Kopf zu nicken. "Und ob ich das weiß, Meisterin... ich meine Scully, ich kann mich nur zu gut an das letzte Mal erinnern, als Sie sie zum Einsatz gebracht haben." Von Panik erfüllt, fügte er schnell hinzu: "Sie sollten lieber tun, was die Frau verlangt, oder es wird hier für uns beide sehr ungemütlich."

"Ähm... ist ja schon gut", entgegnete Uhrt in beschwichtigendem Tonfall und sah dabei Scully mit leicht enttäuschtem Gesichtsausdruck an. "Ich dachte nur, dass sie vielleicht einen kleinen Einblick in die beeindruckende Geschichte dieses architektonischen Meisterwerkes erlangen wollten... Aber dem ist wohl offensichtlich nicht so."

"Nein danke, ich denke, ich habe genug gehört", machte Scully noch einmal ihren Standpunkt deutlich. "Würden Sie uns nun bitte zeigen, warum wir hier sind!?... Schnell..."

"Eigentlich ist es wegen der Leichen hier", meinte Uhrt dann beiläufig und führte die beiden Agenten in das Innere des Raumes hinein.

"Leichen?!" Scully und Mulder sahen sich ungläubig an.

"Ja, diese hier", Uhrt deutete mit dem Finger auf eine Stelle, die sich hinter dem runden Kühlschrank befand, so dass Mulder und Scully erst einige weitere Schritte in den Raum setzen mussten.

Und dann sahen sie, worauf Uhrt zeigte: fünf leblose Körper lagen, wie wertlose Säcke gestapelt, hinter dem Kühlschrank.

"Was um Himmels Willen...", Scully hatte es doch tatsächlich die Sprache verschlagen und auch Mulder schien nicht zu wissen, was er dazu sagen sollte außer: "Was ist mit den Leuten passiert?"

Uhrt, die nicht sonderlich berührt von der Sache zu sein schien, fuhr fort: "Nun, dass wüssten wir nun gerne von Ihnen! Das ist auch der einzige Grund, warum unser Dorfältester es gestattet hat, dass Fremde in unsere Gemeinde eindringen durften."

"Sie haben NICHT die Polizei verständigt?!", Scully war fassungslos. Wie konnte man nur so weltfremd, so völlig abgeschottet, so fern aller zivilisierten Entscheidungen und Instanzen sein? Sie wollte schreien, doch diese scheinbare Bestätigung dieser "Gemeindemitglieder" über ihre offenbare Unkontrollierbarkeit, wollte sie dann doch nicht gewähren.

"Sie haben also nicht die Polizei benachrichtigt...", sie seufzte, "also schön, wie lange liegen diese Leichen schon hier und um wen handelt es sich?", fragte sie dann und trat einen Schritt näher an den bizarren Haufen aus Körpern heran.

"Also", begann Uhrt -in gewohntem Tonfall-, "es sind alles Mitglieder unserer Dorfgemeinde, und der erste wurde vor vier Tagen gefunden, die letzte gestern morgen."

"Würden Sie uns bitte für einen Augenblick alleine lassen?", bat Scully Uhrt, die daraufhin mit den Schultern zuckte und den Raum verließ.

Dann wandte sich Scully zu Mulder um.

"Mulder, wo zum Himmel sind wir hier?!"

Ein besorgter Ausdruck umspielte Mulders Augen. "Im Miranda-Dorf, Scully! Wissen Sie das denn nicht mehr?..."

"Natürlich weiß ich das noch, Mulder!", fauchte sie, "aber ich wünschte, ich hätte diese Tatsache verdrängt...", fügte sie murmelnd hinzu. "Meine Frage war aber sowieso völlig anders gemeint, als Sie sie nun wieder interpretiert haben!"

 

***

 

Eine Stunde später hatte Scully es tatsächlich bewerkstelligen können, dass sie einen Raum nur für sich alleine hatte. Für sich und die fünf Leichen.

Nach zunächst oberflächlichen Begutachtungen der Körper, war ihr aufgefallen, dass alle an mehreren Stellen des Körpers kleine Einstich-Paare zu haben schienen. Um was es sich dabei jedoch genau handelte, konnte sie bis dahin noch nicht sagen. Es gab in diesem Dorf ja auch so gut wie keine Technik... es schien nicht einmal das Wort "Fortschritt" in dem Sprachschatz der Gemeindemitglieder zu existieren, wodurch ihre Ermittlungen erheblich beeinträchtigt und ihre Möglichkeiten sehr eingeschränkt wurden. Das einzige, das sie bis jetzt von allen Opfern definitiv sagen konnte, war, dass sie tot waren.

 

***

 

Währenddessen hatte Mulder beschlossen, sich möglichst weit vom Raum fernzuhalten, in dem Scully gerade die Autopsie durchführte und die Wartezeit auf die ersten Ergebnisse damit zu verbringen, die Frau zu finden, wegen der Scully und er überhaupt ins Miranda-Dorf gekommen waren. Da er allerdings keine Ahnung hatte, wo er mit seiner Suche beginnen sollte, überwand er sich, eine Frau - Mulder gab ihr spontan bei ihrem Anblick den Namen "Miss Esoterica" - anzusprechen und sich zu erkundigen.

"Entschuldigen Sie, ich bin Agent Fox Mulder vom FBI. Hätten Sie kurz Zeit, um mir eine kurze, aber für den Fortlauf dieser Geschichte absolut überlebensnotwendige Frage zu beantworten?"

Die Frau schenkte ihm ein Lächeln, das absolute Ruhe und Heiterkeit ausstrahlte. Sie trug etwa zehn verschiedene Stoffrollen, die garantiert früher einmal Gardinen gewesen waren und die sie auf hoch-komplexe Weise zu einem halben Meter dicken Kleid geformt hatte.

"Guten Tag, ich bin Prinzessin Burundiga aus dem Hause Fezenra."

Mulder blickte sie etwas verdutzt an: "Oh, ich hätte jetzt ehrlich gesagt nicht erwarten, hier eine echte Prinzessin anzutreffen... Sie sind aus Europa hierher gezogen?"

Prinzessin Burundiga hielt einen Moment inne, um über Mulders Frage nachzudenken. Anscheinend hatte sie diese Frage überhaupt nicht erwartet.

"Aber nein, ich bin natürlich nicht das Mitglied einer dieser dekadenten irdischen Adelshäuser, ich bin ein Sprachrohr und eine Stellvertreterin des Kosmos und all seiner Wesen." Bei diesen Worten begann die kosmische Prinzessin verzückt nach oben zu blicken und machte dabei weit ausladende Armbewegungen. Nachdem sie das fünf Minuten getan hatte und dabei ständig Ausdrücke wie "Rama, Rama" oder "Kosmos, Kosmos, erfülle mich" von sich gegeben hatte, entschied sich Mulder weiterzugehen und jemand anderes zu fragen. Doch gerade als er sich umwenden wollte, begann die Frau wieder zu sprechen: "Wo war ich? Ach ja, und das Haus Fezenra ist nicht der Name meiner Familiensippe, sondern es ist der Name des Hauses, in dem ich wohne. Alle Häuser in diesem Dorf haben solche mystischen Name erhalten. In der Sprache des Kosmos bedeutet Fezenra die Quelle der Weisheit."

Wie bekannt, ist Mulder normalerweise offen für alle Art von esoterischen Geheimnissen, aber diesmal hatte er keine Zweifel, dass die Frau nur eine völlige Spinnerin war. Aber auf einmal kam ihm ein sehr interessanter und vor allem sehr amüsanter Gedanke in den Sinn. Ein breites Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.

"Die Sprache des Kosmos? Das klingt ja wirklich sehr interessant. Ist es möglich, sie zu erlernen?"

Die Frau riss ihre Augen weit auf. Beinahe ekstatisch antwortete sie: "Jeder kann die Sprache des Kosmos erlernen, wenn er bereit ist, das kosmische Initiationsritual zu vollführen und somit eins zu werden mit allem..."

Mulders Grinsen wurde noch breiter.

"Und Sie als Stellvertreterin der kosmischen Kräfte sind sicherlich in der Lage, dieses Ritual durchzuführen, nehme ich an?"

"Aber selbstverständlich. Sie möchten sich also dem Ritual unterziehen?"

Mulder konnte sein Lachen nur mit Mühe unterdrücken.

"Nicht ich, aber meine Partnerin versucht schon lange, die universelle Verschmelzung durchzuführen, hatte aber bis jetzt noch keinen geeigneten Führer gefunden. Sie wird Sie bald besuchen. Wundern Sie sich aber nicht, wenn sie vorgibt, wegen einer Zeugenbefragung vorbeizuschauen, sie gibt nicht gerne ihre wahren Wünsche preis..."

"Das wird sich ändern, wenn sie erst einmal ein wahres Kind des Kosmos geworden ist. Und Sie sind wirklich absolut sicher, dass Sie nicht auch eines werden wollen?"

Mulder begann sofort mit dem Kopf zu schütteln. Das Schütteln fiel vielleicht ein wenig zu stark aus, aber dies schien seiner Gesprächspartnerin nicht aufzufallen. "Nein, vielen Dank. Aber können Sie mir vielleicht sagen, wo ich Petra finden kann? Sie hat vor kurzem hier als Praktikantin angefangen..."

"Folgen Sie der Straße, bis Sie den alten Bauernhof erreichen. Zu dieser Stunde werden Sie Petra dort garantiert antreffen..."

 

***

 

Und so machte sich Mulder auf zum Bauernhof. Auf dem Weg begegnete er vielen lustigen Gestalten, die noch lustigere Kleidung trugen und... egal.

Als er auf dem Hof ankam, ging er an einem Kuhstall vorüber vor dem er kurz überrascht stehenblieb, denn was er dort sah, war doch etwas ungewöhnlich: die Leute dort drin liefen allesamt nackt herum! Schließlich sah er auch den Grund dafür: vor dem Stall stand ein großes Schild auf dem vorgeschrieben war, die Kleidung vor Betreten des Stalls abzulegen, da sie einem sonst früher oder später von den Kühen vom Leib gerissen werden würde.

Mulder schüttelte grinsend den Kopf und setzte seinen Weg fort und dann sah er Petra auch schon. Sie kroch auf dem Acker vor dem Bauernhaus herum und machte merkwürdige Bewegungen.

Verwundert und nicht wenig amüsiert, zog Mulder eine Augenbraue in die Höhe. Dann setzte er sich wieder in Bewegung, durchschritt das Tor und ging auf Petra zu, wild winkend... "Juhu... Petra!", rief er ihr zu.

Erschrocken sah die junge Frau auf, wer hielt sie denn nun von den letzten Minuten ihrer Arbeit ab? Sie hatte es doch fast geschafft... Wenn nun jemand mitbekam, dass sie während der Arbeitszeit ein Privatleben hatte? Hastig sah sie sich um, doch noch hatte niemand etwas bemerkt.

"Juhu!", rief Mulder wieder.

Petra stand hastig auf und winkte ihm schnell zu. Wenn er doch bloß aufhören würde, so peinlich laut zu schreien...

Endlich hatte er sie erreicht.

"Hi", begrüßte sie ihn schlicht.

"Was denn, was denn, keine Umarmung? Kein Kuss?", witzelte Mulder.

Er erntete einen vielsagenden Gesichtsausdruck von Petra.

"Ist ja schon gut", beruhigte er sie. "Was ich eigentlich wollte, sind ein paar Antworten auf gewisse Fragen"

"Du willst wissen, was hier vorgeht, stimmt’s?", unterbrach ihn Petra. "Tja, wenn wir das wüssten, wären du und deine Partnerin nicht hier", sie schüttelte mit dem Kopf. "Wir wissen es nicht. Niemand merkt etwas und am nächsten Morgen findet dann jemand die nächste Leiche."

Mulder stutzte. "Die Leichen wurden ausschließlich am Morgen gefunden? Nicht abends oder in der Nacht?"

Petra schüttelte den Kopf. "Nein, immer morgens. Die Leute waren ja am Abend zuvor noch bei der Nachtmette anwesend, sonst hätten wir sie ja schon vorher vermisst."

"Die Opfer verließen also nach dieser Nachtdingsbums noch mal ihre Häuser...", überlegte Mulder laut.

"So muss es schon gewesen sein", stimmte Petra zu. "Aber soviel haben wir auch schon selbst herausgefunden."

"Weiß jemand von euren Leuten, was es mit den merkwürdigen Einstichen an den Körpern der Opfer auf sich haben könnte?", fragte Mulder weiter.

"Ist das eine Besonderheit?", Petra guckte erstaunt. "Wir dachten, es wäre ein Zufall, dass alle Opfer solche Stiche hatten... naja..."

Plötzlich sah Mulder aus dem Augenwinkel ein unbekanntes Flugobjekt durch die Luft fliegen und dann wurde Petra auch schon von einem Holzschuh am Kopf getroffen.

"Petra...", trällerte eine freundlich klingende Stimme, "die Arbeit ruft...!"

Petra rieb sich den Kopf und machte sich dann schnell wieder an ihre Arbeit. Sie fuhr fort, mit Lineal und kleinen Sprösslingen irgendeiner Pflanze bewaffnet, den genauen Abstand zwischen den Setzlingen festzulegen und diese einzupflanzen.

"Tja, dann werde ich mal wieder...", verabschiedete sich Mulder, noch immer etwas überrascht von dieser unerwarteten Attacke, doch er wandte sich noch einmal um. "Was ich noch fragen wollte..."

"Ja...?", fragte Petra ohne aufzusehen.

"Auf der Fahrt hierher sind wir an einem Schloss vorbeigefahren... Lebt dort jemand? Wir haben Schreie gehört..."

Jetzt sah Petra kurz auf. "Ach, da haust bloß irgend so eine Sekte. Die Mitglieder dürfen nicht sprechen, nur schreien oder lachen..."

"Und warum sieht man nie jemanden an den Fenstern?", fragte Mulder.

"Das wissen wir auch nicht genau", meinte Petra. "Wir vermuten mittlerweile, dass die Fenster in den Räumen einfach zu hoch gelegen sind, um hinauszusehen. Aber es ist uns auch egal, wir haben mit den Leuten nichts zu tun"

"Naja, dann..." Mulder wandte sich zum Gehen. Er wollte nun doch noch einige weitere Personen dieser doch recht eigenartigen Gemeinde befragen. Irgend jemand musste doch etwas zu den Todesfällen wissen. Mulder beschloss mit den fünf Leuten anzufangen, die die Leichen entdeckt hatten.

 

***

 

"Was denn, Sie haben ihn auch dort gefunden?!", Mulder war erstaunt. Er befragte nun schon den fünften Zeugen und es hatte sich ergeben, dass alle Leichen im Bereich der Gewächshäuser gefunden worden waren.

"Und wieso erzählen Sie das erst jetzt?", wollte er wissen.

Die Frau zuckte mit den Schultern. "Ich dachte, es wäre nicht von Bedeutung... Es gibt doch schließlich wichtigere Dinge im Leben, als die Fundorte von Leichen, oder?", sie sah ihn an, dann machte sich ein euphorisches Grinsen auf ihrem Gesicht breit, als sie sich umwandte und begann einige pastellfarbende Tücher um sich zu wickeln und schnüren. "Zum Beispiel das hier!", rief sie freudig aus. "Tanzen, Dahinschweben zu sonderbarer Musik, die keine ist... oder zu Gedichten..."

"Ähm, ... ich muss mal schnell was aus dem Wagen holen", murmelte Mulder, während er leise und unauffällig einige Schritte zurück machte, sich dann ganz schnell umwandte und eilig zur Tür herauslief.

 

***

 

"Lass Deine Seele wie eine Blume sein, die erblüht auf den von Sonnenlicht überfluteten Feldern des Lebens und der spirituellen Freuden."

"Ähh," Völlig entgeistert stand Scully in der Tür und sah dem Alten zu, wie er - eine Sonnenblume in der rechten Hand haltend - durch sein Wohnzimmer zuckte und dabei von einer kranken Verrenkung zur nächsten überging. "Eigentlich wollte ich nur nach einem scharfen Küchenmesser fragen."

Enttäuscht beendete der Alte seinen wilden Veitstanz und warf die Blume in den Kamin, wo sie in einer grün-pinken Stichflamme aufging.

"Folgen Sie mir in die Küche."

Die beiden betraten wieder einmal den Arterien-Flur und folgte ihm in Richtung Küche. Während sie gingen, entschied sich Scully, ein Thema anzuschneiden, was ihr schon seit ihrer Ankunft unter den Nägeln brannte.

"Entschuldigen Sie, aber ich hätte eine wichtige Frage an Sie."

"Fragen Sie ruhig, mein Kind. Ich werde versuchen, die Antwort in eine für Ihren schwachen Geist verständliche Form zu kleiden..."

"Oh, vielen Dank, also, ich habe mich vor meiner Abreise in Washington über Ihr Dorf informiert. Laut den Unterlagen folgen Sie in diesem Dorf einer Philosophie, die eine leicht modifizierte Form derjenigen ist, die die Camphill-Dörfer haben. Sie erhalten auch von verschiedenen gemeinnützigen Organisationen Gelder zur Unterstützung ihrer Arbeit."

"Dies entspricht alles der exakten Wahrheit. Sie haben sich wirklich gut auf diesen Einsatz vorbereitet.", antwortete der Alte schmeichelnd," Und wozu haben Sie nun noch eine Frage?"

"Nun ja, sowohl die Camphill-Philosophie als auch die Bewilligung der von Ihnen erhaltenden Gelder haben eine elementare Voraussetzung: Die Betreuung von behinderten Menschen... nun ja, ich habe mich schon ein wenig in diesem Dorf umgesehen und da hat sich mir unweigerlich die Frage aufgedrängt: Wo sind denn überhaupt in diesem Dorf behinderte Menschen?"

Hark von Miranda reagierte sofort auf Scullys Anfrage. "Nun ja..." Er blickte sich panisch um und riss dann ruckartig die Tür des Wandschrankes auf, vor dem er gerade stand. "sie sind darin."

Misstrauisch betrachtete Scully den dahinter liegenden Raum. "In einem schallisolierten Wandschrank?"

"Genau". Mit diesen Worten betätigte Hark einen geheimen Schalter, der in der Wandtür verborgen war. Ehe sie wusste, wie ihr geschah, wurde Scully von einem mächtigen Luftstrom erfasst, der sie in den Schrank saugte. Blitzschnell schloss Hark die Tür und liess Scully alleine im Wandschrank sitzen. Alleine, nicht ganz! Auf einmal erschienen zwei leuchtende Augen in der Dunkelheit und kamen auf Scully zu... von Panik erfasst blieb ihr nichts anderes übrig, als zu schreien...

"FBI! Bleiben Sie, wo Sie sind! Ich bin bewaffnet und gefährlich! ... Und es erweckt nur den Anschein, als sei ich hilflos mit Ihnen in diesem Schrank eingesperrt..."

"Miau..."

"Wie bitte? Könnten Sie bitte deutlicher sprechen?", fragte Scully überrascht.

"MIAU...", kam auch prompt die Antwort.

"Ach, so, Sie sind eine Katze... Natürlich! Ich muss mir an den Kopf fassen..." Scully hielt inne... "Warum rede ich dann überhaupt mit Ihnen?!", dann nach kurzer Pause: "Und warum sieze ich Sie?!... Ach, ich werde hier noch ganz verrückt in diesem Dorf!"

"Wir auch, deshalb sitzen wir jetzt auch hier im Schrank!", meinte eine Stimme plötzlich.

Erschrocken fuhr Scully hoch und stieß sich dabei den Kopf an dem untersten Einlegeboden des Schrankes. "Aua!!!" Sie rieb sich den Kopf. Dann fiel ihr die Stimme wieder ein. "Wer ist da?"

"Miau..."

"Nun hören Sie doch auf mit dem Unsinn! Ich weiß, dass sie keine Katze sind, zumindest keine Katze in dem Sinne, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut! Also antworten Sie mir gefälligst!!!"

"Aber das ist wirklich eine Katze", gab die Stimme etwas beleidigt zurück.

"Oh...", meinte Scully nur. "Aber trotzdem, wer sind Sie?", fragte sie dann.

"Ich bin ..."

Es klopfte an der Tür.

"Ja, bitte!", antwortete Scully reflexartig, bevor sie sich ihrer Lage wieder bewusst wurde.

"Scully, sind Sie da drin?!" Mulders Stimme drang gedämpft durch die dicken Eichentüren des Schrankes, die wohl doch nicht so schalldicht waren, wie sie erschienen. Er hämmerte wieder gegen die Tür.

Nun klopfte auch Scully ihrerseits von innen gegen den Schrank. "Mulder? Mulder, wir sind hier drin! Machen Sie um Himmels Willen die Tür auf!" Sie hämmerte weiter gegen das Holz und hätte beinahe Mulder erschlagen, als dieser plötzlich die Türen aufriss.

"Hey, hey, Scully! Nun mal langsam! Was machen Sie in diesem Schrank?"

Dann, nach einer kurzen Pause, fügte er hinzu: "Und wen meinten Sie mit "wir"?"

Scully sah zurück in den Schrank. "Na, mich und ..., wo ist er?"

"Wer?", Mulder sah ebenfalls in den Schrank hinein. "Scully?", er sah seine Partnerin vorsichtig und aufmerksam von der Seite an.

"Mulder, sehen Sie mich nicht so an!", rief sie genervt. "Ich bin weder wahnsinnig, noch durchgedreht! Ich leide auch nicht an irgendwelchen stressbedingten Halluzinationen oder habe sonstwas für Ausfallerscheinungen! Ich weiß, was ich gesehen habe... gehört... na, wie auch immer! Es WAR jemand mit mir in diesem Schrank und er hatte eine Katze!"

"Eine Katze...?", stellte Mulder mit fragendem, leicht ungläubigem Unterton fest.

"Ja, eine Katze!", bestätigte Scully. Wieder sah sie sich in dem Schrank um, doch er war leer.

"Ich verstehe das nicht, Mulder..."

Mulder seufzte. "Ich weiß genau, wie Sie sich fühlen, Scully. Selbst ich verstehe hier so einiges nicht..."

Um auf ein anderes Thema zu kommen, fragt er dann: "Haben Sie eigentlich durch die Untersuchungen der Leichen etwas herausfinden können, das uns weiterhelfen könnte?"

"Nicht viel, fürchte ich", meinte Scully, und dachte mit Schrecken an diese Untersuchungen zurück, die viel zu oberflächlich und unwissenschaftlich durchgeführt worden waren. Aber, was sollte sie machen? Ihr waren in dieser Gemeinde, die offenbar einen Weg gefunden hatten, irgendwie jenseits des Fortschritts zu existieren, die Hände gebunden.

"Jede der Leichen weißt diese feinen, paarförmigen Einstiche auf", fuhr sie fort. "Und es scheint den Opfern Blut zu fehlen. Ich kann aber nicht sagen, ob diese Menge durch die Wunden ausgetreten ist, oder ob jemand nachgeholfen hat..."

"Ich weiß inzwischen auch nicht viel mehr, als das sämtliche Leichen im Gewächshaus-Komplex des Dorfes gefunden worden sind."

"Nun, dann sehen wir uns dort doch mal um", schlug Scully vor.

Die beiden verließen das Haus und traten vor die Tür nach draußen.

Die Sonne stand noch hoch am Himmel.

Mulder und Scully machten sich auf zu den Gewächshäusern. Als sie den Komplex erreichten, der sechs kleine Häuschen umfasste: Dramatischer Sonnenuntergang.

In Sekunden wanderte der glühend-leuchtende Himmelskörper über den Himmel und versank dann im tiefen Rot hinter dem Horizont.

Die Nacht war hereingebrochen und senkte sich über das Dorf.

Plötzlich war alles still, schien zu schlafen. Nur die Grillen zirpten ihre Lieder und ab und zu schickte ein Käuzchen seine Schreie in die Nacht hinaus.

Die beiden Agenten sahen sich an.

"Was war denn das eben?", fragte Mulder irritiert.

"Was denn, Mulder?", erwiderte Scully in einem Tonfall, als hätte sie von all dem nichts bemerkt. Unauffällig trat sie dabei an einen Baum heran, rückte ein Stück Rinde beiseite und drückte einige Male schnell auf einen roten Knopf eines Kontroll-Panels und übermittelte in Morsezeichen "viel zu auffällig!"

"Scully, was machen Sie denn da?", fragte Mulder und kam näher.

"Ach, gar nichts!", gab sie schnell zurück und verbarg das Panel wieder hinter der Rinde.

"Oh, sehen Sie, Mulder!", versuchte sie ihn abzulenken und wies hinter ihn. Dann schob sie ihn auch schon rücklings gegen eine Wand.

Verwundert und überrumpelt sah Mulder an der Wand hoch und erblickte eine riesige Reklametafel.

"Wo kommt denn die auf einmal her?", wunderte er sich und trat einige Schritte zur Seite, doch schnell zerrte ihn Scully wieder zurück.

"Kommen Sie her, Mulder, Sie stehen im Bild..."

"Was?"

"Ach, nichts... Lassen Sie uns nun die Gewächshäuser untersuchen."

Mulder folgte Scully durch die inzwischen innerhalb von Sekunden aufgezogene, undurchdringliche Nebelwand.

"Hören Sie das, Scully?"

"Was ist denn, Mulder?"

"Ich höre etwas... als würde jemand direkt vor mir...ahhhhhh" Bevor Mulder seine Worte beenden konnte, stolperte er auch schon über einen Rasenmäher.

"Scully!! Sehen Sie, jemand hat mir gerade einen Rasenmäher direkt vor die Füße geschoben!"

Scully schloss ihre Augen und schüttelte langsam den Kopf hin und her. "Mulder, Mulder, ich habe ja schon viel Unsinn von Ihnen gehört, aber jetzt übertreiben Sie eindeutig... Rasenmäher, die sich durch Nebelwände direkt vor die Füße von ahnungslosen Opfern bewegen oder bewegt werden... das ist nun wirklich absolut unsinnig."

Wie auf ein geheimes Stichwort lichtete sich die Nebelwand wieder.

"Und zweitens.... ohhh... Mulder, sehen Sie nur, was für ein unglaubliches Glück! Sie sind nicht über einen gewöhnlichen Rasenmäher gestolpert, nein, das ist ja der neue Mexa-Mäher Millennium, der neuartige, superkomfortable Luftkissenmäher mit Blumensensor und Fernsteuerung für eine neue Generation von Mähen, nein, Mähen ist das falsche Wort, ich sage besser mexanen, der Rasen sieht aus wie beim englischen Königshaus und man muss nicht einmal das Haus verlassen!"

"Wovon reden Sie, Scully?"

"Ach, nichts. Lassen Sie uns einfach ins Gewächshaus gehen. Und vielleicht bekommen sie den Mäher ja auch von den Dorfbewohner aus Dank geschenkt, damit Sie ihn zu Hause benutzen können..."

"Aber ich habe überhaupt keinen Rasen..."

"Oh...ähhm, gehen Sie schon mal vor, ich muss eben an den Baum und ... ich meine, ich muss eben mal für kleine Mädchen..."

"An einem Baum?!?"

"Gehen Sie einfach."

"Na gut."

Völlig verwirrt über die stattgefundenen Ereignisse wandte sich Mulder in Richtung Eingang des Gewächshauses. Woher kam auf einmal dieser Rasenmäher, wieso gab es hier Nebel, der innerhalb von Sekunden aufzog und dann genauso schnell wieder verschwand und woher hatten diese völlig rückständigen Dorfbewohner so ein State-Of-The-Art-Gerät? Und vor allem, wieso sang Scully aus voller Kehle den Mexa-Jingel, während sie sich ihm näherte? Mulder entschloss sich dazu, darüber später in seinem Zimmer - hatte er überhaupt ein Zimmer? - nachzudenken. Jetzt wollte er erst einmal das geheimnisumwitterte Gewächshaus untersuchen. Mit einem Ruck riss er die Türe auf...

... und wurde um ein Haar von mehreren Kürbissen erschlagen, die gerade in dem Augenblick auf den Boden fielen, in dem Mulder die Tür öffnete.

"Seit wann wachsen Kürbisse denn an der Decke?", fragte sich Mulder und schüttelte den Kopf. Er sah sich die Pflanzen und Ranken des Gewächshauses genauer an. Keine der Pflanzen rankte bis zur Decke empor, geschweige denn, bis über eine Höhe von einem Meter fünfzig. "Von wo sind denn dann bloss die Kürbisse heruntergefallen?", fragte sich Mulder erneut. "Es sei denn...", doch bevor er den Gedankengang vollenden konnte, kam Scully auch schon zur Tür herein.

"Haben Sie schon etwas Verdächtiges entdeckt?", erkundigte sie sich.

"Wachsen Kürbisse eigentlich ausschließlich auf dem Boden, Scully, oder gibt es auch Arten, die an Ranken hochwachsen können?"

Scully sah ihren Partner verwundert an, entschied sich aber dagegen, nach dem genauen Grund dieser Frage zu forschen. "Mulder, Kürbisse wachsen nur auf dem Boden. Zwar an Ranken, wie auch Melonen, aber auf dem Boden."

"Aha", murmelte Mulder.

Scully sah förmlich die Zahnräder in seinem Kopf rattern, als er wieder eine seiner Theorien entwickelte.

Mit dem Fuß stieß Mulder nun einige der Kürbisse an, die vor ihm auf dem Boden lagen.

"Scully, sehen Sie. Diese Kürbisse haben keine Verbindung mehr zu einer Ranke. Sie wurden also schon geerntet."

"Und?", Scully wurde ungeduldig.

"Warum also liegen sie noch hier, anstatt in einem der Häuser zu Suppe oder sonstwas verarbeitet zu werden?"

Scully zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung, Mulder. Aber, was hat das denn mit dem Fall zu tun?"

"Scully, glauben Sie, dass Kürbisse...", er hielt kurz inne.

"Was?"

Er winkte ab und verzog das Gesicht. "Ach, lieber nicht, Scully. Das klingt doch ein wenig ZU absurd!"

Scully seufzte und trat ihrerseits weiter in das Gewächshaus hinein, um sich umzusehen.

"Scully..."

"Schhht!!!", Scully winkte ab und bedeutete Mulder, still zu sein.

"Was denn?!", flüsterte Mulder fragend.

Angestrengt horchte Scully in das Gewächshaus hinein. "Ich dachte, ich hätte was gehört..."

"Gehört?"

"Ja, eine Art... Knurren oder Brummeln", versuchte Scully zu erklären.

"Glauben Sie, dass ein Tier hier drin ist?", fragte Mulder. Dann fügte er mit einem Grinsen hinzu: "Eine Katze vielleicht...?"

Scully verdrehte die Augen. "Mulder, ich denke nicht, dass es ein Tier war, dies ist schließlich ein Gewächshaus und selbst diese Leute hier werden sich sicher davor hüten, ein Tier hier herein zu lassen."

"Also, was sollte es Ihrer Meinung nach sonst sein?", fragte Mulder darauf hin.

Bevor Scully antworten konnte, erklang das Geräusch erneut. Diesmal hörte auch Mulder die ungewöhnlichen, fremdartigen Laute.

Vorsichtig folgte er dem Geräusch und machte eine Stelle des Gewächshauses ausfindig, an der das Pflanzenwerk besonders dicht war und die Blätter bei jedem Ton leicht erzitterten.

"Das ist bestimmt ein Tier, Scully"

Doch Scully beachtete die Worte ihres Partners gar nicht, sondern ging näher an die Quelle des Geräusches heran. Als sie nur noch wenige Zentimeter von dem Pflanzenwerk entfernt war und dieses gerade beiseite schieben wollte, verstummte das Knurren abrupt. Ein gedämpfter Laut war zu hören und plötzlich rollte ein Kürbis vor die Füße der beiden Agenten.

"Was...?!" Scully sah Mulder fragend an, doch der zuckte auch nur mit den Schultern.

Als Scully daraufhin die Blätter zur Seite schob, war dahinter, wie zu erwarten, nichts. Zumindest nichts, was als Quelle dieser Geräusche in Frage kommen konnte, die sie bis vor wenigen Augenblicken noch gehört hatten.

"Vielleicht hat sich der Kürbis von selbst von der Ranke gelöst und hat dabei dieses Zittern erzeugt", spekulierte Scully.

"Und woher kam dann dieses Gegrunze?", fragte Mulder.

"Gärprozesse...?", schlug Scully vor. "Ach, ich weiß auch nicht!", fügte sie dann hinzu.

"Mulder, hier ist nichts", meinte sie dann und wandte sich zum Gehen.

"Naja, zumindest nichts außer den Kürbissen...", berichtigte sie Mulder.

"Aber diese Kürbisse werden ja wohl kaum von Bedeutung sein zur Lösung dieses Falls..." und mit diesen Worten hatte sie auch schon die Tür des Gewächshauses geöffnet und war hinausgetreten.

Langsam folgte ihr Mulder.

Kam es ihm nur so vor, oder wurde er beobachtet? Von irgend etwas IN dem Gewächshaus? Unbehaglich sah er sich um, doch er konnte niemanden ausmachen. Schnell verließ auch er dann das Häuschen und schloss fest die Tür.

Die Untersuchung der fünf übrigen Gewächshäuser brachte auch nichts Neues ein. Nur überall Kürbisse, die zunächst wie aus dem Nichts auf den Boden zu fallen schienen, sobald man die Tür öffnete, als wären sie zuvor durch das Gewächshaus geschwebt... Hier und da ein leises Knurren, doch weder Scully noch Mulder waren in der Lage, die Quelle dieser Geräusche ausfindig machen zu können.

"Ich glaube immer noch, dass es die Kürbisse sind, Scully", versuchte es Mulder erneut, doch Scully blockte sofort ab.

"Mulder, sowas wie fliegende Kürbisse gibt es nicht. Und schon gar nicht welche, die dazu auch noch Geräusche von sich geben."

Dann schoss es Mulder durch den Kopf. "Scully, ich hab's! Wie wäre es mit..."

"Nein, Mulder!", sie hob dankend die Hand, "verschonen Sie mich für heute damit! Morgen vielleicht, aber nicht jetzt! Ich brauche erst mal etwas Schlaf..." Sie gähnt herzhaft und ging davon.

"Scully?", Mulder blickte ihr hinterher. Schließlich folgte er ihr. "Scully!", rief er.

Sie wandte sich um. "Was denn noch?!"

"Wo wollen Sie denn überhaupt schlafen?"

Bevor Scully antworten konnte, tauchte aus dem Nichts Joshua neben den beiden Agenten auf.

"Sie beide übernachten natürlich in meinem Haus!", er machte eine übertrieben einladende Geste.

Scully und Mulder, denen bewusst war, dass es kein Entkommen mehr gab, willigten ein. Sie waren müde und hatten nicht mehr die Nerven dazu, sich wilde Ausreden einfallen zu lassen, um dieser Einladung zu entgehen. Also nickten sie Joshua zu und folgten ihm.

"Sie sind beide herzlich eingeladen...", trällerte er weiter. Und bei sich dachte er still, von großer Vorfreude erfüllt: "Ich kann es kaum erwarten, den beiden meine neuste Komposition vorzuspielen..."

 

***

 

"Hallo, ich bin Dana, 34 Jahre alt, komme aus Washington D.C. und meine Hobbies sind Reiten, Waschen, Kleider bügeln und Nackttanzen..."

"Agent Scully!!", fiel ihr Joshua ins Wort, "Warum zerstören Sie so mutwillig unser nettes und total spontanes Vorstellungsspiel?"

"Sagen wir mal, dass ich den Sinn von solchen erzwungenen Vorstellungsrunden nicht zu erkennen vermag. Und nun entschuldigen Sie mich bitte, ich muss einige Befragungen durchführen. Mulder, wieso grinsen Sie so bei dem Wort 'Befragungen'?"

Mulder, der sein Lachen kaum unterdrücken konnte, brauchte einige Sekunden, bis er in der Lage war zu antworten: "Ich habe nur gerade an einen anderen Fall gedacht. Also, ich würde sagen, Sie beginnen bei dem Haus >>Fezenra<< und arbeiten sich dann weiter vor zur Mitte. Wir treffen uns dann dort..."

 

***

 

"Ding dong" rief die Klingel gen Himmel aus, als Scully sanft an der eisernen Kette zog, die sie nach mehreren Minuten endlich als Ersatz für einen Klingelknopf identifiziert hatte.

"Verloren auf ewig! Und wiedergefunden in glückseliger Heiterkeit", vernahm sie daraufhin aus dem Inneren des Hauses. Schwungvoll wurde die Tür aufgerissen und Scully schlug eine Mischung verschiedener Essenzen, Weihrauch und Kräuterdämpfen entgegen. Durch die Nebelschwaden trat eine Frau heraus, die ein halbdurchsichtiges, weitgeschnittenes Kleid in einem hellen Pastell-Blau trug.

Scully zückte ihren Ausweis und stellte sich knapp vor: "Ich bin Special Agent Dana Scully. Darf ich Sie zu den mysteriösen Todesfällen, die sich in jüngster Zeit hier im Dorf zugetragen haben, kurz befragen?"

"Aber selbstverständlich, ich habe Sie schon erwartet und habe bereits alles für die Fragestunde mit dem Kosmos vorbereitet. Folgen Sie mir bitte."

Mit diesen Worten verschwand die Frau wieder in den milchigen Schwaden, die den Innenraum des Hauses erfüllten.

"... mit dem Kosmos?" Verwirrt ging Scully der Frau nach.

Nach einigen Schritten erreichte sie etwas, was eine Art Altar zu sein schien. Über einer riesigen kreisrunden Marmorplatte, die mindestens einen Durchmesser von zehn Metern besaß, schwebte eine Kugel aus reinem Kristall, in die Dutzende aus Jade gefertigte Symbole eingelassen waren. Durch ein kompliziertes System aus Spiegeln, die im gesamten Raum verteilt waren, wurde das Tageslicht eingefangen und auf die Kugel projiziert, welche dadurch in einem leuchtenden Weiß erstrahlte. Auf und in die Kugel geritzte Zeichen sorgten dafür, dass ein komplexes Lichtmuster auf der Marmorplatte erschien.

"Ähm, sehr schön, aber könnte ich Ihnen jetzt eben wenige Fragen stellen? Es dauert auch höchstens zehn Minuten."

"Hier, setzen Sie das auf!" Die Frau erschien auf einmal vor Scully und stülpte ihr einen ausgehöhlten Schafskopf über, an dem Hunderte von Girlanden und lange Spiralfedern befestigt waren.

"Und nehmen Sie diesen Stab der Verbindung in die Hand."

Scully spürte in ihrer Hand eine Art Stange, welche von einer klebrigen Masse bedeckt war. Auf einmal war sie heilfroh, dass ihr der Schafskopf jegliche Sicht nahm. Sie versuchte, den Stab von ihrer Hand zu lösen, doch dieses hatte nur zur Folge, dass auch ihre andere Hand an dem Stab festklebte. Verzweifelt versuchend, den Stab von ihren Händen zu lösen, taumelte sie durch den Raum und stolperte dabei über einen herumstehenden Bottich. Sie landete unsanft in einer schleimigen, nach Chemie schmeckenden Masse und auch ihre beiden Beine sowie Teile ihres Torsos verfingen sich an dem mysteriösen Stab der Verbindung.

"Ohoh, was muss ich da sehen, Sie haben sich einfach in das Bad der Transvibration fallen lassen... Sie sind wirklich ein wenig voreilig, aber nun ja, jetzt können Sie auch darin bleiben. Schön, dass Sie schon eine altindische Meditationsstellung eingenommen haben. Einen Moment, ich nehme nur eben ein paar Designerdrogen – ich meine natürlich einige psychedelischen Kräuter des Kosmos – zu mir, dann können wir auch sofort mit ihrer Initiation beginnen... Ohmmm, das Leben ist eine Scheibe, ohmmm, Kosmos, öffne deine Pforten des Lichts und lass uns sehen in dein allerheiligstes Scharschima... ohmm,..."

"HILLFFEEEE!"

Doch ihre Schreie blieben ungehört, denn in exakt diesem Augenblick erhob sich ein riesiger Schwarm Krähen aus den benachbarten Baumwipfeln, zog kreischend einige Bahnen um das Fezenra-Haus und machte sich dann auf in die unerforschten Weiten des Himmels gen Horizont.

 

***

 

"Lalala...", fröhlich vor sich hin summend tänzelte Scully über den Dorfplatz, verwunderte Blicke auf sich ziehend. Auch Mulder beobachtete mit großen Augen das ungewohnte Schauspiel, als er registrierte, dass Scully direkt auf ihn zu tanzte. Hastig sah er sich um, doch für eine Flucht war es bereits zu spät, denn sie hatte ihn schon erreicht.

"Huhu, Mulder..., kommen Sie, lassen Sie sich von mir die unendlichen Weiten und Wahrheiten des Kosmos offenbaren..." Sie zerrte an seinem Mantel, wollte ihn mit sich führen, doch Mulder wehrte sich.

"Ähm, Scully... wirklich nicht", er versuchte, sie abzuschütteln. "Ein ander‘ Mal vielleicht..." Was hatte er da bloß wieder angerichtete? "Lassen Sie los, Scully!" Er wehrte sich heftiger. "Scully!", rief er nun, doch seine Partnerin reagierte nicht, sondern tänzelte weiterhin um ihn herum und wedelte euphorisch mit den Armen.

Er packte sie bei den Schultern und schüttelte sie. Er rief ihren Namen, doch auch darauf reagierte sie nicht.

Dann reichte es ihm endgültig. Er entschied sich zur einzigen noch verbliebenen Möglichkeit. Mit einem geschickten Handgriff packte er Scully, drehte sie herum und hielt sie an den Beinen in der Luft. "Scully!", rief er ein letztes Mal, schüttelte sie noch einmal durch und setzte sie dann wieder vor sich auf dem Boden ab.

Verwirrt schüttelte Scully den Kopf, blinzelte, schaute um sich.

Dann sah sie ihren Partner fragend an. "Mulder? Was...? Ist irgendetwas passiert?"

Mulder schüttelte schnell mit dem Kopf "Nein, nein, nichts ist passiert, Scully. Alles in bester Ordnung..." Er war erleichtert, dass sie sich offenbar an nichts mehr erinnern konnte, dass ihr im Fezenra-Haus widerfahren war. "Wir wollten nur gerade einige der Dorfbewohner befragen..."

"Befragen...", Scully runzelte die Stirn, dann blickte sie sich um. "Wie komme ich denn eigentlich hier her?... Habe ich nicht gerade noch..."

Mulder blickte erwartungsvoll zu ihr herüber und seine Besorgnis wuchs.

Dann schrie Scully laut auf. "Mulder!!!" Sie stürzte auf ihn zu, es gab kein Entkommen. Schon hatte sie ihn zu Boden gerissen und schlug wild auf ihn ein. "Mulder, wie konnten Sie nur! Wissen Sie, was ich durchmachen musste?!"

Mulder versuchte unterdessen verzweifelt, ihre Schläge abzublocken und als langsam ihre Wut abebbte und die Hiebe schwächer wurden, gelang es Mulder, sich herum zu drehen, sich auf Scully zu setzen und ihre Arme zu fixieren.

"Mulder...", flüsterte Scully nach einigen Augenblicken. "...küssen Sie mich, damit wir uns nach fünf Jahren Zusammenarbeit und Freundschaft endlich duzen dürfen...!"

Nach einem Moment der Verwirrung zuckte Mulder die Schultern.

"Na gut..." Er beugte sich zu ihr herunter und ihre Lippen trafen sich in einem langen, innigen Kuss.

Drei Stunden später waren sie in der Lage, sich voneinander zu trennen und den staubigen Boden des Dorfes zu verlassen.

"So, was machen wir jetzt?", fragte Scully.

"Ich bin inzwischen auf eine perfekte Lösung des Falles gestoßen", meinte Mulder darauf hin.

Scully verdrehte die Augen und seufzte. "Aber bitte, nur oberflächliche Analysen... und keine wilden Spekulationen!"

Mulder grinste und nickte dann.

"Also gut, ich höre", fordert Scully ihn auf, loszulegen.

"Gut, zunächst haben wir die Aussagen der Dorfbewohner, deren Gemeinsamkeit die Gewächshäuser sind. Dann haben wir weiterhin unsere Leichen, die ohne Ausnahme mit kleinen Einstichen übersät sind. Und schließlich sind da die Gewächshäuser selber, in denen wir selbst Zeuge von etwas merkwürdigen Vorfällen wurden. Besonders die Kürbisse dort erschienen... anders"

"Mulder", Scully sah ihn warnend an.

"Schon gut, schon gut, das war es ja auch schon", besänftigte Mulder sie. "Es folgt lediglich meine Schlussfolgerung dieser Tatsachen, die dann zugleich eine optimale Lösung dieses Falls bietet.

Scully sagte nichts mehr, was Mulder dazu verleitete, fortzufahren.

"Ich bin überzeugt, das es sich hierbei um einen seltenen Fall von Vampirismus handelt. Kürbisvampirismus..."

"NEIN!", unterbrach Scully ihn, mehr entsetzt als ablehnend.

"Aber, die Fakten sprechen alle dafür", versuchte Mulder sie zu überzeugen. "Die kleinen Einstiche an den Leichen... Hätten wir jetzt vernünftige Gerätschaften zur Verfügung, würden wir mit Sicherheit herausfinden, dass es sich um Bisswunden handelt. Und die Kürbisse in den Gewächshäusern... die waren doch lebendig!"

"Jetzt reicht es mir endgültig!" Scully wandte sich von ihrem Partner ab. Dann sah sie ihn wieder an und meinte mit fest entschlossenem Tonfall: "Ich werde jetzt beweisen, dass DIESE Theorie unmöglich stimmen kann!"

"Und wie, wenn ich fragen darf?", rief ihr Mulder hinterher.

Scully, die schon einige Meter weit davongestapft war, hielt kurz inne und drehte sich zu ihm um. "Indem ich in die Gewächshäuser gehen und die Kürbisse inspizieren werde, obwohl diese Maßnahme völlig lächerlich ist..." Sie wandte sich wieder um und ging weiter.

"Scully...", rief Mulder. Schnell machte er sich daran, ihr zu folgen, denn jetzt konnte es dramatisch und gefährlich werden...

Die Gewächshäuser waren in tiefe Dunkelheit getaucht, als die beiden sie erreichten. Kein Vogel der Nacht stimmte seinen geheimnisvollen Gesang an, noch waren andere Laute außer den Fußstapfen der Agenten zu vernehmen. Leichter Nebel bedeckte den Boden und hüllte ihn ein wie ein Mantel aus dem fernen Avalon, in dem König Artus auf seine Rückkehr wartete. Scully wandte sich um, doch wie auf ein geheimes Zeichen waren alle Lichter im kleinen Miranda-Dorf erloschen und durch die Schwärze der Nacht ließen sich kaum mehr als die Ahnung von Häuserumrissen erkennen. Sie beugte sich langsam zu ihrem Partner und flüsterte ihm zu: "Es sind sechs Gewächshäuser. Wir sollten uns trennen, um alle so schnell wie möglich zu durchsuchen."

"In Ordnung. Ich werde dann hinten beginnen."

"Verstanden, ich beginne gleich hier vorne." Scully hatte den halben Weg hinter sich gebracht, als auf einmal die Stille der Nacht von leisem Flattern kleiner Flügel durchrissen wurde.

Verwundert richtete Scully ihren Blick nach oben. Auf den ersten Blick konnte sie nichts weiter erkennen als einen wolkenverhangenen Nachthimmel, doch plötzlich fiel ihr ein kleines Objekt ins Auge, welches an die hundert Meter von ihr entfernt in der Luft schwebte und sich langsam auf eines der Gewächshäuser zubewegte. Scully war nicht in der Lage, aus dieser Entfernung nähere Details zu erkennen, aber scheinbar handelte es sich bei dem Ding um eine Kugel mit Fledermausschwingen. Scully drehte sich in die Richtung, in die Mulder gegangen war, um ihn herbeizurufen, entschied sich dann aber doch dagegen. Das Risiko, entdeckt zu werden, wäre zu groß gewesen. So schwieg sie und schlich langsam dem leisen Geräusch hinterher.

Kurze Zeit später hatte sie eines der vielen Gewächshäuser erreicht, in dem die Kürbisse für das Dorf gezüchtete wurden. Durch die leicht geöffnete Tür schallten Grunz-, Stöhn- und Knurrgeräusche nach draußen. Langsam ließ Scully sich auf die Knie sinken und näherte sich dann in gebückter Haltung einem der vielen großen Glasfenster. Die Wolkendecke war inzwischen aufgerissen und im fahlem Mondlicht, was nun ins Innere des Hauses fiel, konnte sie eine Versammlung aus dem Reich der untoten Flora beobachten. An die dreißig Kürbisse hatten sich zu einer Runde zusammengefunden und schienen aufgeregt über die bedrohliche Situation, die durch die Ankunft von Scully und Mulder entstanden war, zu diskutieren.

Scully lehnte sich zurück. Die Vampire hatten keine Ahnung, dass sie beobachtet wurden und – was noch viel wichtiger war – ihnen schien nicht bewusst zu sein, dass es in Kürze zu dämmern beginnen würde und dass die Gewächshäuser so gelegen waren, dass sie als Allererste von den Strahlen der aufgehenden Sonne getroffen würden. Und das Licht der Sonne würde die mächtigen Herrscher der Nacht in wehrloses Gemüse verwandeln. Ein breites Grinsen breitete sich auf Scullys Gesicht aus. Sie zückte ihr Taschenmesser und begann es zu polieren. Und dann würde Scullys große Stunde gekommen sein.

Nachdem er mehr als zwei Stunden damit verbraucht hatte, unzählige Kürbisse auf besondere Merkmale zu untersuchen, ohne allerdings irgendeinen Erfolg vorweisen zu können, entschied sich Mulder, nachzusehen, was Scully bis jetzt herausgefunden hatte. Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel und so war es ein Leichtes für ihn, Scully wiederzufinden. Sie saß in einem der Gewächshäuser, umringt von Unmengen von Kürbisresten und sah mehr als gesättigt aus.

"Was ist hier passiert?"

Scullys Blick wurde glasig. Mit monotoner Stimme antwortete sie: "Ich kann mich an nichts erinnern."

"Ach so, dann ist ja gut. Dieser hoch-realistische Tonfall hat mich jetzt völlig überzeugt." Er überflog noch einmal mit seinem Blick das sich ihm bietende Bild. "Aber es scheint so, als wäre der Fall jetzt gelöst und zwar durch eine relativ ... unkonventionelle Methode, würde ich sagen."

Scully übergab sich. "Dann können wir jetzt also endlich gehen? Bei weiteren Vorfällen kann sich ja die hiesige Polizei darum kümmern."

Auf einmal sprang sie auf und rannte wie wild aus dem Gewächshaus. Mulder hörte sie nur noch rufen: "Wir müssen hier wegfahren... und zwar schnell... ich glaube, mir muss der Magen ausgepumpt werden..."

Mulder eilte hinter ihr her, sprang in dem Wagen und die beiden jagten mit Höchstgeschwindigkeit davon und ließen das kleine Miranda-Dorf hinter sich.

Es war vorbei.

 

***

 

Hoch oben in den schattigen, dunklen Wipfeln eines 1 Meter fünfzig hohen Baumes, geschützt und verborgen vor den verderblichen Strahlen der Sonne, leuchteten zwei kleine gelbe Augen und verfolgten die beiden Agenten bei ihrer Abreise.

Es war noch lange nicht vorbei, nein, es hatte gerade erst begonnen. Tief in seinem Inneren spürte der kleine Kürbis seine Kerne wachsen. Ja, er würde sich vermehren und seine Saat der Nacht über das ganze Land... über die ganze Welt verteilen. Und eines Tages, würde es ihm endlich gelingen, die Weltherrschaft an sich zu reißen.

 

THE END

 

 

 

Anmerkung:

 

Die Legende von Kürbisvampiren existiert wirklich und ist KEINE Erfindung von uns!

Es folgt ein zitierter Abschnitt aus "Das Buch der Vampire" von Matthew Bunson (Stichwort "Kürbis"):

"Wie auch die Wassermelone ein Gewächs, dem die Fähigkeit zugeschrieben wird, sich in einen Vampir zu verwandeln, wenn auch nicht in einen besonders gefährlichen. Geschichten von vampirischen Kürbissen haben bei manchen Roma-Stämmen der Balkanländer Tradition. Es heißt, ein Kürbis, der länger als zehn Tage aufbewahrt wird, beginne auf der Erde herumzurollen und drohend zu knurren; tritt ein Blutstropfen aus, ist dies ein Zeichen für die erfolgte Verwandlung."

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