Fenster schließen

Begraben unter dem Staub der Jahrhunderte

(Eine Geschichte von Silke Eckelmann und Frédéric Weymann)

 

I. Montag Morgen 8.15 J Edgar Hoover Building:

Missmutig betrat Mulder sein Büro. Er hatte in der Nacht zuvor schlecht geschlafen und war davon aufgewacht, dass er nach Samantha rief. übel gelaunt pfefferte er seinen Mantel in eine Ecke und ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen. Unwirsch betrachtete er die Akten auf der Schreibtischplatte und überflog rasch die Memos, die sich über Nacht darauf angesammelt hatten. Schon nach wenigen Sekunden war ihm klar, dass keine von ihnen einen weiteren Blick wert waren. Nacheinander knüllte er die Blätter zusammen und warf sie gekonnt in den am anderen Ende des Zimmers aufgestellten Mülleimer. Mit der Zeit hatte er einige Übung darin bekommen. Als das letzte Memo durch einen gekonnten Drei-Punkte-Wurf in den Korb versenkt worden war, fiel Mulders Blick auf etwas, was sofort seine Aufmerksamkeit erwecke. Unter den Papieren hatte ein weißer Briefumschlag gelegen. Keinerlei Beschriftung war zu finden. Mulder öffnete ihn und begann den Brief zu lesen :

"Sehr verehrter Agent Mulder, es kann sein, dass wir uns gegenseitig helfen können. Genau wie Sie, möchte ich den Menschen die Wahrheit über etwas sagen, von dem sie nur die verlogene Version der höchsten Autoritäten kennen. Kommen Sie morgen Abend um 20 Uhr in die St. Pattricks Kirche und gehen Sie in den Beichtstuhl. Sagen Sie dort dem Pfarrer, dass Sie Mordgelüste gegenüber ihrem ehemaligen Partner Kryceck hätten. Sie werden dann weitere Information erhalten."

Unterschrieben war der Brief nicht, aber das hatte Mulder eigentlich auch nicht erwartet. Sein Instinkt sagte ihm, dass dies kein dummer Scherz war und auch keine Falle, um ihn ein für alle mal loszuwerden, indem man ihn bei seiner "Beichte" heimlich aufnahm, um das Tonband später gegen ihn zu verwenden.

"Guten Morgen, Mulder. Wie ich sehe, sind Sie heute extra früh aufgestanden, um etwas Ordnung hier zu schaffen.", ertönte auf einmal Scullys spöttische Stimme von der Tür her. Sie blickte demonstrativ auf Mulders Mantel, stieg ebenso demonstrativ darüber hinweg und kam auf ihn zu. Mulder grinste nur entschuldigend, legte den Finger auf den Mund und hielt ihr den Brief hin. Sie nahm ihn, setzte sich gemütlich auf einen der Stühle vor seinem Schreibtisch und begann damit, den Brief lautlos zu lesen. Dann stand sie auf und bedeutete Mulder mit einer Handbewegung ihr zu folgen, was dieser auch tat. Sie gingen in ihre spezielle dunkle Flurecke, wo sie sich schon einmal nach Deep Throats Tod getroffen hatten, um die Lage zu besprechen.

"Mulder, was macht sie so sicher, dass dieser Brief ernst gemeint ist? Nur weil der Verfasser über Krycek und Ihre Feindschaft ihm gegenüber weiß, heißt das noch lange nicht, dass dies keine Falle des Krebskandidaten oder einfach ein schlechter Witz ist."

"Man erfährt sie Wahrheit leider nicht durch reines Warten und Beten." Bei diesen Worten verzog Mulder seinem Mund zu einem breiten Grinsen. "Und wenn der Krebskandidat oder jemand anders auf diese Weise ein falsches Geständnis von mir bekommen hofft, hat er sich mit einem Beichtstuhl wohl den ungünstigsten Ort, der möglich ist, ausgesucht. Egal, was ich dort sage, man wird es niemals gegen mich verwenden können."

Beinahe nebenbei fügte er hinzu : "Können sie mir vielleicht erklären, wie eine Beichte abläuft, Scully?"

"Mul-der!" Scully seufzte entnervt. Was regte sie sich eigentlich immer wieder über ihren Partner auf? Nach all der Zeit, die sie schon mit ihm arbeitete, sollte sie sich eigentlich an seine Eigenarten gewöhnt haben. Außerdem hatte er wieder diesen speziellen Blick in seinen Augen, der besagte, dass er sich von nichts und Niemandem aufhalten lassen würde, um dieser Sache nachzugehen. Alles was sie jetzt noch tun konnte, war ihn im Auge zu behalten, damit er nicht wieder alle Regeln verletzte und seinen Feinden somit eine Gelegenheit gab ihn endgültig loszuwerden. Resigniert begann sie ihm kurz zu erklären, wie man sich bei einer Beichte verhält.

"Mulder, ich werde sie morgen begleiten. Wenn dieser Brief doch eine Falle ist, sollten sie jemanden als Rückendeckung haben. Es wird ohnehin Zeit, dass ich mal wieder ein Gotteshaus von Innen sehe. Mein Beruf lässt mir kaum Zeit dazu."

Mulder fuhr hoch: "Ich halte das für keine gute Idee, Scully. Es steht zwar nicht ausdrücklich im Brief, dass ich alleine kommen soll, aber die 'Einladung' galt nur mir. Wenn meine Kontaktperson bemerkt, dass ich Begleitung habe, dann platzt das Treffen womöglich. Und sie wissen ja, wenn sie Sorgen oder Probleme haben, welcher Art auch immer, ich stehe mit offenen Armen für sie bereit."

Mit diesen Worten breitete er die Arme aus. Scully ging zwei Schritte zurück.

"Danke, Mulder, aber in diesem Fall wende ich mich garantiert an jemand anders als sie."

Gespielt beleidigt drehte sich Mulder um und ging zurück in sein Büro. Scully blickte ihm nach, aber ihr war klar, dass sie an seiner Meinung nicht mehr rütteln konnte. Hoffentlich hatten seine Instinkte ihn diesmal nicht getäuscht. Leise seufzend folgte sie ihrem Partner.

 

 

II. Dienstag Abend Washington D.C. 19.55h St. Pattricks Church

Nachdem Mulder durch die Pforte der Kirche eingetreten war, kontrollierte er unauffällig, ob seine Waffe vollständig unter dem Anzug verborgen war und holte dann ein kleines kaum handtellergroßes Gerät heraus, welches sich leicht in seiner Hand verstecken ließ und ging damit auf den Beichtstuhl zu. Allzuoft war der Krebskandidat ihm einen Schritt vorausgewesen indem er seine Gespräche abhörte. Diesmal würde er Vorsichtsmaßnahmen treffen. Wenn das Gerät ausschlug, würde er wissen, dass der Beichtstuhl mit Wanzen versehen worden ist und sofort auf dem Absatz umdrehen. Bei diesen Treffen war er vor Fallen gefeit. Aber das Gerät schlug nicht aus, als er den Beichtstuhl betrat. Auch der Teil, indem der Priester saß, schien frei von Abhörgeräten zu sein. Einigermaßen beruhigt aber immer noch innerlich auf der Hut setzte sich Mulder, ließ das Gerät aber an, nur für den Fall, dass sich der Priester als ebenso falsch herausstellen sollte, wie vor langer Zeit sein "Partner" Alex Kryceck.

Kaum hatte er sich richtig hingesetzt, da wurde auch schon der Vorhang von der anderen Seite weggeschoben und Mulder hörte eine tiefe und angenehme Stimme: "Was kann ich für Dich tun, mein Sohn?" Bevor er antwortete warf Mulder noch schnell einen weiteren Blick auf sein Wanzensuchgerät. Immer noch kein Ausschlag.

"Dies ist eigentlich meine erste Beichte..." antwortet Mulder ".....Vater" fügte er zögernd hinzu.

"Gott empfängt jeden mit offenen Armen und vergibt jedem seine Sünden, wenn dieser sie ehrlich bereut. Welche Sünden hast Du nun begangen, mein Sohn?"

"Nun, ich hatte einen falschen Freund, der meinen Vater und die Schwester meiner Partnerin kaltblütig umgebracht hat. Vor kurzem traf ich ihn wieder und ....musste mich sehr beherrschen, um nicht meinen Mordgelüsten nachzugeben. Ich wollte ihn töten, so wie er getötet hat, wollte mich dafür rächen, dass er mich so lange Zeit bewusst getäuscht und auch vor langer Zeit daran gehindert hat, die Entführung meiner Partnerin zu vereiteln. Er hat den Tod verdient..."

"Es ist nicht an Dir zu entscheiden, wer den Tod verdient hat, mein Sohn. Diese Entscheidung liegt alleine in Gottes Hand, dem allmächtigen Vater." antwortete ihn die fremde Stimme ruhig aber bestimmt.

Mulder widersprach nicht, verzog sein Gesicht aber zu einer Grimasse.

"Hast Du mir sonst noch etwas zu sagen, Fox?"

Bei dem letzten Wort zuckte Mulder zusammen. Er brauchte aber nicht lange, um die Fassung wiederzuerlangen. Was hatte er denn erwartet?

"Ich dachte immer, dass die Beichte anonym wäre", gab er spitzfindig zurück, "aber sie sollten wissen, dass ich es vorziehe mit meinem Nachnamen angeredet zu werden."

"Entschuldige mein Verhalten, mein Sohn, ich wollte Dich nicht kränken."

So unvermittelt wie er Mulder persönlich angeredet hatte, verfiel der Priester - wenn es denn der Priester war - auch wieder in den routinierten Ton einer Beichte.

"Da du deine Sünden offen vor Gott, dem Herr, ausgesprochen hast und da du sie ehrlich bereust, werden sie Dir vergeben werden. Doch vorher will ich Dir noch eine Stelle in der Bibel nennen, die Dir Trost spenden wird. 'Was mokierst Du Dich über den Splitter im Auge Deines Nachbarn und siehst den Balken in Deinem eigenen nicht' Du musst versuchen unter die Dinge zu sehen und deine Augen zu öffnen für die verborgenen Dinge in deiner Umgebung. Ego te absolvo, in nominis patris et filius et spiritus sancti, amen." Der Unbekannte machte auf seiner Seite des Beichtstuhles das Kreuzzeichen.

Mulder wollte etwas sagen, doch in diesem Moment hörte er die Tür des Beichtstuhles gehen. Schnell öffnete auch er seine Seite der Kabine und trat hinaus, aber es war zu spät. Der geheimnisvolle Informant war gegangen. Nachdenklich kehrte Mulder in den Beichtstuhl zurück und überdachte noch einmal seine "Beichte".

Welche Worte hatte sein Informant doch gleich noch betont? 'Unter die Dinge sehen und die Augen öffnen für die verborgenen Dinge.' Mulder sah sich um. Der Beichtstuhl war recht eng. Vor ihm war nur die Tür, die er abtastete, aber nicht fündig wurde. Es blieb also nur der Sitz, auf den er gesessen hatte. Er verließ den Beichtstuhl wieder und untersuchte ihn gründlich. Da! Unter dem Sitz war etwas befestigt. Eine Stofftasche, die gut mit Paketklebeband festgemacht worden war.

Vorsichtig löste Mulder das Klebeband holte die Stofftasche heraus. Er wollte gerade hineinschauen, als ihm unerwartet auf den Rücken geklopft werden. Instinktiv fuhr seine Hand zur Waffe. Die Stimme einer alte Frau ertönte: "Was fällt Ihnen ein, junger Mann? Wollen Sie etwa an diesem heiligen Ort einen Diebstahl begehen?"

Mulder drehte sich lächelnd um: "Aber natürlich nicht! Ich hatte nur mein Portemonnaie fallen lassen." Er wollte gerade gehen, als ihm ein Gedanke in Gehirn schoss: "Stehen Sie schon länger vor diesem Beichtstuhl? Haben Sie vielleicht den Geistlichen gesehen, der gerade den Beichtstuhl verlassen hat?"

"Wie bitte? Pastor Grimmle hat den Beichtstuhl bereits verlassen? Das ist ja eine Unverschämtheit! Leider bin ich erst gerade gekommen, sonst hätte er was zu hören bekommen. Ich ..."

Während die alte Dame noch weiter schimpfte wandte sich Mulder unauffällig ab und verließ rasch die Kirche. Er war sich inzwischen sicher, dass er nicht mit Pastor Grimmle gesprochen hatte. Dieser hätte keinen Grund gehabt, den Beichtstuhl so schnell wieder zu verlassen. Außerdem hatten Informanten die Angewohnheit, ihre Identität geheimzuhalten.

 

 

III. Dienstag Abend 21.15h Der Lesesaal einer Bibliothek

"Nur gut, dass einige Bibliotheken in Washington auch noch sehr spät abends geöffnet haben", dachte Mulder, "Hier ist der ideale Platz, um sich den Inhalt der Tasche genauer anzusehen. Wer käme schon auf die Idee, einen solchen Ort ständig zu überwachen? Nun kann ich in aller Ruhe das Material sichten."

Er legte die Tasche vor sich auf den Tisch, öffnete sie und griff hinein. Er erfühlte im Inneren eine Papprolle. Mit einer Kopfbewegung sah er sich noch einmal um, doch außer dem Büchereiverwalter, der gerade neue Bücher katalogisierte, befand sich niemand in der Bücherei. Er zog die Rolle aus der Tasche. Es handelte sich um eine Rolle, in der normalerweise empfindliche Gegenstände wie Bilder, Plakate oder Karten gerollt aufbewahrt werden, um Knicke und anderen Beschädigungen zu vermeiden. Auf ihr stand in großen Buchstaben: "Vorsichtig behandeln! Kostbarer Inhalt".

Mulder zog die Handschuhe an, die er vor dem Verlassen seines Büros vorsichtshalber eingesteckt hatte. Die öffnung von sich abgewendet, öffnete er vorsichtig den Verschluss der Rolle. Würde die Rolle nun in seiner Hand explodieren oder etwas aus der Rolle austreten, es wäre keine wirkliche Überraschung für ihn. Doch dieses Risiko musste er eingehen. Langsam zog er den Deckel von der Rolle...

Doch die Rolle verwandelte sich weder in einen gleißenden Feuerball noch trat etwas Schädliches aus ihrem Inneren aus, als der Deckel entfernt worden war. Mulder kippte sie leicht und eine Schriftrolle fiel in seine Hand. Von der Art glich sie der Art von Schriftstücken, wie man sie in früheren Zeiten gebraucht hatte, bevor man ab dem 1.Jahrhundert nach Christi zum Codex, also der heutigen Form des Buches überging.

Behutsam legte Mulder die Schriftrolle vor sich auf den Tisch und schüttelte dann noch einmal die Papprolle aus, um zu sehen, ob sich noch weitere Schätze darin verbargen. Doch die Rolle war ansonsten leer.

Also wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Rolle zu und begann vorsichtig damit, sie aufzurollen. Das Material war sehr alt und Mulder hatte einige Schwierigkeiten, das Schriftstück zu entfalten, ohne dass es in seinen Händen zerbröckelte. Mulder spürte, wie sein Adrenalinspiegel mit jeder entfaltender Zeile weiter stieg. Bald konnte er einen großen Teil einsehen. Doch sein Aufregung bekam einen derben Dämpfer, als er damit begann, die bereits stark verblassten Schriftzeichen näher zu betrachten. Der gesamte Text war in einer völlig unbekannten Sprache geschrieben worden. Es war weder Latein, noch Alt-Hebräisch oder Alt-Griechisch. Mulder war nicht einmal in der Lage, die grobe Abstammung der sich vor ihm befindenen Sprache zu bestimmen. Er brauchte einen Übersetzer, der sich sehr gut mit dem Sprachen des Altertums auskannte und ihm eine genaue Übersetzung liefern konnte.

Mulder brauchte nicht lange zu überlegen : "Byers, Langley und Frohike kann ich dieses Material getrost anvertrauen. Sie werden es gut hüten und wenn sie es nicht übersetzen können, dann kennen sie bestimmt jemanden, der dazu in der Lage ist!"

Vorsichtig rollte er das Pergament wieder zusammen und steckte es in die Papprolle zurück. Mit seinem neuen Schatz unter dem Arm eilte er aus der Bücherei. Er glaubte, ja er hoffte sogar, den Inhalt dieses Jahrtausende altem Dokumentes zu kennen. Hoffentlich würden seine Hoffnungen erfüllt werden.

Als Mulder den Saal verlassen hatte, trat eine Gestalt hinter einem Regal hervor und sah ihm mit einem hasserfüllten Blick hinterher. Die linke Hand hielt ein Buch, aber die rechte Hand war nicht aus Fleisch und Blut, sondern ein Produkt der modernen Medizin aus einen speziellen Kunststoff, genau wie es der gesamte rechte Arm es war.

"Mulder, deinetwegen habe ich nur noch einen Arm." zischte Krycek vor sich hin. "Ich werde dafür sorgen, dass Du niemals findest, was Du suchst! Wenn ich schon dein Leben nicht haben kann, so werde ich meine Rache darin finden, dass ich dir jeden Weg verbaue, der dich näher an die Lösung auf deine Fragen bringt!"

Er holte mit der linken Hand ein Handy hervor und wählte. "Ich bin es.", meldete er sich, als die Verbindung zustande gekommen war, "Sie hatten recht, unser Rotkehlchen hat gesungen."

Er lauschte aufmerksam den Instruktion, die die Person auf der anderen Seite der Leitung gab und ein zufriedenes, schadenfrohes Grinsen formte sich auf seinem Gesicht.

"Mit dem allergrößten Vergnügen". Er beendete das Gespräch, steckte das Handy zurück in seine Jackentasche und schlenderte aus dem Saal.

 

 

IV. Die Zentrale der Lone Gunmen; Washington D.C. 22.00h

Energisch klopfte Mulder an die Tür der Zentrale und wartete voller Ungeduld auf eine Antwort. Es kam selten vor, dass die Tür verschlossen war. Aber er musste nicht lange warten, denn wenige Augenblicke später ertönte Byers Stimme von der anderen Seite: "Mulder, schön dich zu sehen." Schwungvoll öffnete sich die Tür und fiel genauso schnell hinter Mulder wieder ins Schloss.

Mulder blickte sich in dem dunklen Raum, der mehr an einem Lagerraum als etwas anderes erinnerte, rasch um.

Langley saß wie üblich an seinen Tonbändern, die heimliche Mitschnitte von Telefongesprächen aus der FBI Zentrale enthielten. Frohike saß gemütlich in einem Sessel und verschlang ein Playboy-Magazin. Beide blickten nur kurz auf, als Mulder eintrat.

"Na Mulder, auch wieder im Lande?", fragte Frohike, "Wie war es denn in Memphis? Hast Du dem Grab des King of Rock and Roll einen Besuch abgestattet? Und wo hast du denn Deinecharmante Partnerin heute gelassen?"

"Guten Abend Frohike" antwortete Mulder kurz, ohne auf die Fragen einzugehen und wandte sich dann wieder Byers zu, der ihm nachgekommen war.

"Byers, ich brauche Eure Hilfe. Kennt Ihr die Sprache, in der diese alte Schriftrolle geschrieben wurde?"

Er holte die Papprolle aus der Tasche und hielt sie Byers hin.

"Schriftrolle?" Byers Augen fingen an interessiert zu funkeln. Er nahm Mulder die Papprolle ab, holte ebenfalls Handschuhe und dazu noch ein Lederetui, das sich als Reisenecessaire herausstellte. Dann setzte er sich an den Tisch, holte die Schriftrolle aus ihrer Verpackung und rollte sie mit Hilfe einer Pinzette vorsichtig auf.

Langley ließ seine Tonbänder im Stich, Frohike seine Pin-up Girls und beide schauten Byers über die Schulter bei seiner Feinarbeit zu.

"Sehr interessant," murmelte Byers. "Woher hast Du dieses Material?"

"Das ist das Ergebnis einer Beichte" erwiderte Mulder trocken.

"Beichte?" Alle drei Köpfe fuhren gleichzeitig hoch und sahen Mulder verwirrt an.

"Seit wann bist Du denn ein gläubiger Katholik?" fragte Langley fragend.

"Das erzähle ich euch später. Kennt ihr die Sprache und könnt das übersetzen?" fragte Mulder begierig.

Byers betrachtete die Schrift durch ein Vergrößerungsglas. "Kein Hebräisch, kein Altgriechisch, kein Latein" murmelte er.

"Soweit war ich auch schon" murmelte Mulder seinerseits ärgerlich, wurde aber ignoriert.

"Nein, ich kenne diese Sprache nicht, aber vielleicht kann unser neuestes Mitglied - 'Der Professor' - uns helfen," meinte Byers.

Er sprang auf und ging mit der Rolle zum Scanner, wo er sie vorsichtig mit der Schrift nach unten auflegte. Er scannte die Schriftrolle ein, speicherte alles in einer Datei ab und schickte diese dann per eMail an den "Professor".

Mulder hob unterdessen Frohikes Playboy auf und blättert darin, während er auf eine Antwort wartet. Die Lone Gunmen begannen inzwischen damit, sich weiter mit der Schriftrolle zu beschäftigen und führten einige Tests durch, um das Alter und die Zusammensetzung der Tinte und der Rolle selbst genauer zu bestimmen.

Nach etwa zwanzig Minuten wandte sich Byers von der Schriftrolle ab und sprach Mulder an: "Mulder, warum gehst Du nicht nach Hause und legst Dich hin? Ich denke nicht, dass wir noch heute Abend von Professor hören werden. Er liest nur einmal am Tag seine Mails und es kann auch eine Zeitlang dauern, bis er den Text übersetzt hat. Wir benachrichtigen Dich, wenn ...Moment mal.." unterbrach er sich und schaute erstaunt auf den Bildschirm.

Dort war eine Nachricht erschienen: "Email Eingang". Byers setzte sich wieder an seinen Computer und checkte seine Mails.

"Unglaublich" entfuhr es ihm. "Er hat schon geantwortet." Laut las er den Text der Mail vor:

' Ich frage gar nicht erst, woher Ihr diese Schriftrolle habt, denn Ihr würdet es mir sicher nicht sagen. Also nur so viel, was ich schon auf den ersten Blick sehen kann: der Text ist in Aramäisch geschrieben und es handelt sich offensichtlich um eine Schrift aus der Zeit kurz nach Christis Tod, denn der Autor schreibt so, als habe er Jesus noch erlebt und beschreibt dessen Kreuzigung in allen Einzelheiten. Soweit ich das jetzt schon sagen kann handelt es sich um einen Ausschnitt aus den Memoiren des Autors. Es ist ein sehr interessantes Dokument, aus dem man viel über die damalige Zeit erfahren kann. Ich werde euch sofort benachrichtigen sobald ich mehr herausgefunden habe. Der Professor'

Mulder seufzte ungeduldig. "Was denkt Ihr wie lange wird er brauchen, um den Text vollständig zu übersetzen?"

"Warum hast Du es denn so eilig Mulder?" fragte Frohike gelassen. "Du bist schon dein ganzes Leben auf der Suche nach Antworten, da wirst du wohl einige Tage auf eine warten können."

"Genau," stimmte Langley ihm zu, "wir sind genauso neugierig wie Du, Mulder. Und der Professor wird sich garantiert die nächsten Zeit ausschließlich um die Übersetzung kümmern. Als entspann dich... Ich hätte hier etwas, was du bis zur Antwort des Professors lesen könntest. Es ist bestimmt nicht minder interessant als der Inhalt der Schriftrolle..."

"Oder du machst dir ein paar nette Stunden. Am besten zusammen mit der reizenden Dana" feixte Frohike.

Mulder ignorierte beide Angebote und wandte sich statt dessen zum Gehen. Er wusste, dass er hier momentan nichts mehr erreichen konnte.

Langly kommentierte sein Verhalten mit den Worten "Keine Sorge, Mulder, wir werden von den Dokumenten in der nächsten Ausgabe ausführlich berichten. Dann wirst du dich aber garantiert darüber ärgern, dass du mein Angebot abgelehnt hast."

Mulder ließ sich von Langlys Worten nicht von seinem Entschluss abbringen, nach Hause zu gehen und dort zu warten, bis ihm die drei ein Nachricht zukommen ließen. Er öffnete die Tür zur Straße und verließ unauffällig das Gebäude.

Er wusste nicht, dass unweit der Zentrale ein dunkles Auto geparkt war, in dem sein ehemaliger Partner saß. Dieser beobachtete, wie Mulder in seinen eigenen Wagen stieg und davonfuhr.

"Das Schöne an Dir ist, Mulder, dass Du so berechenbar bist!" kicherte Krycek hämisch. "Sie wussten, dass Du zu Deinen Spießgesellen fahren würdest!"

Er holte wieder sein Handy heraus und wählte. "Sie hatten wie üblich recht. Er hat sie zu den Lone Gunmen gebracht. Wie soll ich weiter verfahren?"

Ein ärgerliches Stirnrunzeln überzog sein Gesicht, als er die Antwort vernahm.

"Aber....." versuchte er aufzubegehren, wurde aber unterbrochen.

" Ja Sir," erwiderte er missmutig, unterbrach die Verbindung und richtete sich auf eine lange Nacht ein, in der er lediglich die Aufgabe hatte, auf eventuellen Besuch bei den Lone Gunmen zu achten.

 

 

V. Die Zentrale der Lone Gunmen, Washington 02:12h

Mehrere Stunden später saß Krycek immer noch in seinem Wagen und betrachtete die Straße. Bis jetzt hatte noch niemand dem Lone Gunmen einen Besuch abgestattet oder war einer der drei Einsamen Schützen aus der Zentrale auf die Straße getreten. Um seine Langweile etwas zu vertreiben, ließ er sich nun seit über drei Stunden von einer Unbekannten über das Handy Lügen darüber erzählen, wie sie aussah, was sie anhatte und was sie gerade alleine für ihn auf der anderen Seite der Leitung anstellte.

"Es hat schon seine Vorteile, wenn man jede Art von Spesen erstattet bekommt." dachte er still in sich hinein, als er auf einmal ein Bewegung im linken Augenwinkel bemerkte. Reflexartig unterbrach er die Verbindung, ohne sich von "Angelique" zu verabschieden und griff zur Mini-Kamera, mit dem er jeden Besuch dokumentieren sollte.

Die Person kam näher. Krycek versuchte zu erkennen, wer zu dieser späten Stunde noch in dieser Gegend unterwegs war, doch die Gestalt war so vermummt, dass Krycek Mühe hatte, auch nur das Geschlecht zu erraten. Sie trug einen weiten Mantel mit Kapuze, welche sie weit ins Gesicht gezogen hatte. Obwohl für diese Jahreszeit relativ hohe Temperaturen herrschten, hatte sich der oder die Unbekannte einen langen Schal um den Hals gewunden, der praktisch die gesamte untere Gesichtshälfte verdecke.

Krycek aktivierte die lichtverstärkende Funktion der Kamera, stellte den digitalen Zoom so ein, dass er die gesamte Person im Sucher hatte und schoss danach ein Foto nach dem anderen. Es war eindeutig ein Mann, keine Frau konnte so eine Statur haben. War es etwa Mulder?

Nein, dafür war die Gestalt zu klein. Und Mulder hatte sich bei letzten Mal auch nicht viel Mühe bei der Tarnung gegeben, warum sollte er es diesmal tun? Vielleicht wollte der Mann ja überhaupt nicht zu den Lone Gunmen und hatte andere Gründe für seine ungewöhnliche Kleidung? Auch unwahrscheinlich. Wer so paranoid war, konnte nur ein Bekannter der drei sein.

Und Krycek behielt recht. Den Auslöser wieder und wieder betätigend, beobachtete er, wie der seltsame Mann auf die Tür der Zentrale der Lone Gunmen zuging und rasch ins Innere huschte.

Die Tür hatte sich kaum geschlossen, als schon Leben in Kryceks schlaffe Glieder fuhr. Mit wenigen Handgriffen startete er seinen Laptop, schloss die digitale Kamera an dieses an und übertrug die Bilder, um sie an seine Auftraggeber zu übersenden. Vielleicht würden diese Information endlich ausreichen, um den Übergang vom reinem Beobachten zum direkten Eingriff in die Ereignisse zu rechtfertigen.

"Mulder, was tust du denn schon wieder hier? Ich sagte doch..."

Weiter kam Frohike mit seinen Worten nicht, denn der Mann, der gerade den Raum betreten hatte, warf seine Kapuze zurück und zog den Schal nach unten. Allen drei Schützen fiel vor Überraschung beinahe die Kinnlade nach unten.

"Professor! Was machen Sie denn hier?"

"Mir blieb nichts anderes übrig, als Sie wegen der Schriftrolle persönlich zu treffen."

"Aber was ist wenn Sie gesehen wurden? Es ist viel zu riskant, hier herzukommen. Sie könnten mit uns in Verbindung gebracht werden und damit leicht auf einer staatlichen Abschussliste landen."

"Das Risiko bin ich bereit einzugehen. Außerdem ist der Kontakt per eMail nicht weniger riskant. Sie können davon ausgehen, dass jede Mail, die von hier versandt wird, von der Gegenseite abgefangen wird. Und wenn sie erst einmal eine eMail-Adresse haben, können sie sich daran machen, herauszufinden, wer eMails über diesen Account versendet und empfängt. Jede Abfrage birgt ein großes Risiko für mich. Nicht zu vergessen, dass die Informationen, die ich euch zukommen lasse, von den falschen Leuten gelesen werden könnte."

Jetzt drängte sich Byers in den Vordergrund: "Der Versand ist absolut sicher. Das Verschlüsselungsformat, das wir nutzen, kann von niemanden auf diesem Planeten geknackt werden."

"Sie sagen es, von niemanden von *diesem* Planeten. Aber wir wissen nicht, welche Technologie manchen Leuten wirklich zur Verfügung stehen. Aber das ist jetzt zweitrangig. Wo ist die Schriftrolle?"

Von der Straße war das Geräusch von einem startenden Wagen zu hören. Rasch entfernte sich das Motorengeräusch.

Langly führt den Professor zu dem Tisch, auf dem alle mögliche Testinstrumente lagen. "Wir haben das Material der Schriftrolle untersucht und können das Alter von beinahe zweitausend Jahren bestätigen. Diese Rolle wurde eindeutig zur Zeit Jesu oder kurz danach geschrieben."

"Das deckt sich auch mit dem Inhalt der Rolle", erwiderte der Professor während er vorsichtig mit dem Finger über die Schrift fuhr, "ich konnte leider nur Teile übersetzen, da die Kopie, die ihr mir gesendet hat, in Teilen unleserlich ist. Dies ist auch ein Grund dafür, dass ich jetzt hier bin. Mit dem Original zur Hand werde ich hoffentlich in der Lage sein, den gesamten Text zu übersetzen. Aber vielleicht sollte ich Ihnen zuerst das mitteilen, was ich bereits weiß."

Diese Worte ließen die Lone Gunmen aufhorchen. "Fahren Sie fort."

"Nun, Sie haben sich doch bestimmt schon einmal mit der Kreuzigung und den damit verbundenen Ungereimtheiten auseinandergesetzt?"

"Natürlich haben wir zu diesem Thema Nachforschungen angestellt.", antwortete Frohike, "Die Aufzeichnungen aus der damaligen Zeit, die von der Kreuzigung erzählen, legen den Verdacht nahe, dass Jesus die Kreuzigung überlebt hat."

"Die unglaublich kurze Zeit, in der Jesus starb, wenige Stunden anstelle von den gewöhnlichen Tagen, die Tatsache, dass Jesus nicht wie üblich in aller Öffentlichkeit sondern in einem privaten Garten gekreuzigt wurde und Berichte über sein Weiterleben an anderen Orten der Welt, alles spricht gegen den Tod Jesu am Kreuz." führte Langly fort.

"Genau.", bestätigte der Professor, "Und nun gibt es einen eindeutigen Beweis. Dieses Dokument ist ein Bericht, ein Bericht von einem der Retter Jesu."

Schon lange war es nicht so leise gewesen in der Zentrale der Lone Gunmen.

 

 

VI. Mittwoche Morgen FBI Zentrale, J.Edgar Hoover Building

"Nun Mulder, wie war Ihre 'Beichte' gestern Abend?" fragte Scully beim Eintreten in das Kellerbüro, welches sie mit Mulder teilte.

"Gut." antwortete dieser einsilbig. Er war in Gedanken immer noch bei der Schriftrolle und fragte sich, wann er wohl von den Lone Gunmen hören würde.

"Konnten Sie all Ihre Sünden beichten?" Scully ließ nicht locker. Inzwischen hatte sie ja Übung darin, Mulder alle Antworten wie Würmer aus der Nase zu ziehen.

"Ja."

"Himmel sind sie heute gesprächig" seufzte Scully verärgert. "Wenn Sie mir keine Einzelheiten erzählen wollen, dann sagen Sie es, damit ich mir die Mühen ersparen kann."

Wortlos stand Mulder auf und bedeutete Scully ihm zu folgen. Sie gingen in ihre Stammecke, wo er ihr ausführlich von den Geschehnissen des letzten Abends berichtete. Scully runzelte die Stirn, als er auf die Lone Gunmen zu sprechen kam.

"Mulder, warum haben Sie die Schriftrollen nicht dem Labor zur Untersuchung und Übersetzung gegeben?"

"Weil ich verhindern wollte, dass sie auf einmal verschwunden ist, so wie schon viele andere Beweisstücke vor ihr," erklärte Mulder ungeduldig. "Außerdem ist es nicht nötig den Krebskandidaten oder andere Dunkelmänner mit der Nase darauf zu stoßen, dass ich wieder einem neuen Geheimnis auf der Spur bin, diesmal sogar einem an dem die älteste Institution der Welt beteiligt ist: die katholische Kirche!"

"Das ist noch nicht erwiesen, Mulder." widersprach Scully heftig, "Sie haben immer noch keinen Hinweis auf die Identität ihres Informanten oder auf dessen Glaubwürdigkeit."

Mulder sah sie wortlos an. Er hatte völlig vergessen, dass sie ja katholisch erzogen worden war und in ihrer Situation jeden Trost brauchte, den sie bekommen konnte. Sollte er diese Spur nicht weiterverfolgen? Ihretwegen? Schließlich war er ja nicht ganz unschuldig an ihrer tödlichen Krankheit.

"Scully..." setzte er an, aber das Klingeln seines Handys unterbrach ihn.

"Mulder." meldete er sich. "Ja, ist gut, ich komme!" Er unterbrach die Verbindung und sah Scully zögernd an.

"Nun reden Sie schon Mulder!" forderte ihn seine Partnerin ungeduldig auf.

"Das war Byers. Der Professor ist mit der Übersetzung der Schriftrolle fertig," erklärte Mulder, "Vielleicht ist es besser, wenn ich Sie hierbei heraushalte, Scully."

"Nein, Mulder. Ich bin viel zu neugierig, was 'der Professor' sich zusammengereimt hat," widersprach ihm Scully energisch. "Gehen wir!".

 

 

VII. Zentrale der Lone Gunmen

Als die beiden Agenten kurz darauf bei den Lone Gunmen eintraten, herrschte reges Treiben in dem kleinen Raum. Während Langly am Computer saß und unentwegt Befehle eingab, waren Byers und Frohike damit beschäftigt, mehrere Disketten, Ausdrucke und Streamertapes in Umschläge zu verpacken.

"Was ist denn hier los? Habt Ihr Euch endlich dazu durchgerungen, aus diesem alten Gemäuer auszuziehen?" fragte Mulder scherzhaft.

"Nicht ganz." Langly löste sich vom Bildschirm und ging auf einen nahestehenden Tisch zu. "Aber als wir dem unglaublichen Inhalt der Schriftrolle erfahren hatten, wollten wir sichergehen, dass niemand das darauf enthaltende Wissen einfach auslöschen kann."

Mulder eilte mit großen Schritten zu Langly an den Tisch. Man konnte ihm förmlich ansehen, dass er innerlich beinahe vor Aufregung platzte. Scully folgte ihm wesentlich weniger enthusiastisch. Sie hatte in diesen Wänden schon zu viele "unglaubliche" Geheimnisse erfahren, als dass so eine Ankündigung ihre Neugier besonders hätte steigern können.

Auch Byers und Frohike stoppten ihre Arbeit mit den Datenträgern und kamen zu den drei an den kleinen Tisch, auf den die Original-Schriftrolle ausgebreitet war.

"Nun sag schon, was in der Rolle steht!", drängte Mulder, "Zum Warten könnte ich mich auch zur Beichte anstellen." meinte er scherzhaft und erntete sofort einen bösen Blick von der Seite.

"Ich sollte Euch vielleicht zuerst vorwarnen, dass die Schriftrolle nicht das erhält, was du vielleicht erwartest, Mulder." begann Byers.

"Diese Sache ist so unglaublich, dass bestimmt niemand damit gerechnet hat.", setzte Langly fort, "Die Schriftrolle ist wie gesagt ein Teil eines Tagebuch von einem Zeitgenossen Jesu. Aber er ist nicht irgendein Mensch gewesen, sondern ..."

Er machte eine bedeutsame Pause, die Scully nutze, um sich für die universelle Wahrheit zu wappnen. Was oder wer war er denn nun - Alien, zeitreisende Militärs oder gar Elvis?

"... sondern einer der Anhänger Jesu, der ihn mit anderen vom Kreuz rettete."

Diese Worte ließen Scully geradezu explodieren. "Also das ist nun wirklich das Unmöglichste, was ich je gehört habe. Ich hatte ja alles erwartet, aber nicht eine so unglaublich Lüge! Mulder, wegen so einen Unsinn schleppen sie mich zu diesen Verrückten und Perversen?" Bei dem letzten Wort sah sie Frohike besonders scharf an.

"Nun lassen Sie mich doch ausreden, Miss Scully.", versuchte Langly sie zu beschwichtigen, "Geben sie mir zwei Minuten und ich werde Ihnen die Fakten zeigen, die auch sie überzeugen werden."

Scully richtete den Blick auf ihren Partner, doch dieser stand wie in Trance neben ihr und starrte entrückt auf die Schriftrolle. Sie schüttelte den Kopf. Nun gut, sie würde Langly eine Chance zur Erklärung geben - und dann seine Theorie in der Luft zerreißen. Zum Glück kannte sie sich ein wenig in der Materie aus. "In Ordnung, zwei Minuten."

"Danke. Also, wie sie wahrscheinlich bereits wissen, hat Mulder diese Schriftrolle hier von einen unbekannten Informanten - unser Meinung nach stammt er aus aus höchsten Kirchenkreisen - erhalten. Wir haben die Text eingescannt und einem Spezialisten für diese altertümlichen Sprache geschickt. Während er die Bedeutung zu erfassen versuchte, analysierten wir die Tinte und das Material des Pergaments und datierten die Rolle auf rund zweitausend Jahre." erklärte Langly.

"Bereits wenige Stunden, nachdem sich der Professor per eMail bei uns gemeldet hatte, kam er persönlich zu uns.", setzte Byers fort, "Er benötigte das Original, weil unsere Kopie einige Details nicht genau darstellte."

"Der Text beschreibt, wie die Jünger durch Bestechung und Nutzung einiger Verbindungen dafür sorgte, dass Jesus nicht öffentlich mit anderen Verurteilten gekreuzigt wurde, sondern in einem privaten, der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Garten hingerichtet werden sollte. Ihre Bemühungen wurden durch die Angst der Römer vor großen Ansammlungen von Anhängern unterstützt." erzählte Frohike.

"Sie gaben Jesus ein spezielles Pflanzengift, welche ihn für kurze Zeit als tot erscheinen ließ. Nachdem sich Pilatus von Jesus Tod überzeugt hatte, wurde sein scheinbar lebloser Körper sofort auf einen Wagen verladen und aus der Stadt gebracht. Wohin, weiß der Verfasser selbst nicht, dies sollten nur die wissen, die Jesus zu seiner neuen Heimat begleiten sollten. Er war mit anderen dafür zuständig, eine Beerdigung vorzutäuschen und alle Spuren zu beseitigen." vollendete Langly den Vortrag.

Scully wartete einige Sekunden, um sicher zu gehen, dass die Ausführungen beendet waren und holte dann zum Gegenschlag aus.

"Nun gut, dies klingt alles sehr interessant, jedoch habe ich ein paar Fragen zu diesem Thema. Zuerst einmal : Wie exakt ist diese Übersetzung, die der 'Professor' geliefert hat?"

"Er zählt zu den Besten auf diesem Gebiet und wird aus aller Welt um Übersetzungen gebeten. Das sollte wohl also Referenz ausreichen."

"Nun, für eine Gruppe Nichtschwimmer ist selbst ein schlechter Schwimmer Spezialist. Nur weil der Professor zu den Menschen zählt, die die Sprache am besten verstehen, heißt das nicht, dass er die Sprache wirklich gut spricht. Schließlich ist die Sprache seit Jahrhunderten tot. Heute spricht sie niemand mehr als Muttersprache. Der Professor hat sein Wissen auch nur aus Büchern. Er mag vielleicht die Bedeutung der Wörter kennen und Ahnung von den grammatischen Strukturen haben, aber eine Sprache ist viel mehr. Sie bedient sich Wortspielen, Vergleichen und Redewendungen, die auf das damalige Leben und Weltbild basieren. Ein Wort kann übertragende Bedeutungen haben, von denen selbst ihr Professor nichts weiß, weil sie ungebräuchlich sind."

"Was möchten Sie damit andeuten?"

"Ich will damit sagen, dass der gesamte Text interpretierbar ist. Eine eindeutige Übersetzung ist praktisch unmöglich. Und ich kenne Sie als eine Gruppe von Leuten, die ständig auf der Suche für Beweisen ihrer seltsamen Theorie ist. Es könnte also gut sein, dass Sie und der Professor im Zweifelsfalle eine Übersetzung gewählt haben, der ihren Vorstellungen näher kommt."

Mit dieser Vermutung war Scully etwas zu weit gegangen. Wenn die Lone Gunmen eines nicht ertragen können, dann war es der Vorwurf, Beweise zu fälschen.

"Also so etwas hätte ich von Ihnen nun wirklich nicht erwartet, Miss Scully. Wir haben uns noch nie falscher Beweise bedient. So ein Verhalten ist unter unser Würde. Das kann Ihnen auch Ihr Partner bezeugen." erwiderte Langly gekränkt.

"Es ist wirklich überraschend, dass in so einem hübschen Körper ein so boshafter Geist steckt." Frohike richtete bei diesen Worte seinen Blick auf Scully Beine. "Aber Sie werden doch wohl zugeben müssen, dass diese Theorie auf ziemlich unsichere Beinen steht..." Wieder wanderten seine Blicke an Scully nach unten, "... es stimmt zwar, dass wir nicht mit Sicherheit sagen können, ob wir den einen oder anderen Satz so verstehen, wie der Autor ihn nun genau gemeint hat. Aber so unsicher ist die Übersetzung nun auch nicht, als dass wir einfach einen völlig anderen Sinn erfinden könnten. Dann hätten wir ja praktisch jeden Satz uminterpretieren müssen."

Was ich euch durchaus zutrauen würde. Doch Scully behielt diese Worte für sich. Statt dessen entschied sie sich dazu, Frohikes lüsterne Blicke durch einen Wechsel der Sitzposition zu entgehen.

"In Ordnung, gehen wir einfach mal davon aus, dass die Rolle keine Fälschung ist und auch korrekt übersetzt wurde, so gibt es immer noch genügend Argumente, die Ihre Theorie widerlegen könnten." Sie machte eine kurze Pause und begann dann mit ihrer zweiten Attacke: "Woher sind sie sich so sicher, dass diese Rolle tatsächlich von einem Anhänger Jesu stammt? Zu Beginn hatte das Christentum wahrlich weitaus mehr Feinde als Freunde. Vielleicht war diese Rolle dazu gedacht, den Märtyrer Jesus als Feigling zu entlarven, der sich klammheimlich davonstiehlt anstelle zu bleiben und verdeckt weiter für seine Sache zu kämpfen. Dies hätte der christlichen Bewegung garantiert viel an Schwung genommen."

"Sie können doch eine eingeschworene Gruppe wie die Christen nicht durch solche plumpe Lügen auseinanderbringen. Jemand, der bereit ist, sich für seine Überzeugung dermaßen großen Gefahren auszusetzen - als Anhänger Christi entlarvt zu werden kam ja einem Todesurteil gleich - wird kaum einer Schriftrolle, die keiner bestätigen kann, Glauben schenken. Nein, Miss Scully, die Rolle kommt eindeutig von einem Christ, sonst wäre sie doch verbrannt worden anstelle dass man sie aufbewahrt hätte."

"Gut, sagen wir, es waren Christen. Dann kann es aber auch sein, dass diese Rolle von jemanden geschrieben wurde, der nicht daran glauben wollte, dass Jesus für immer gegangen war. Vielleicht gab es in den Beginnen der Christentum eine kleine Gruppe, die seinen Tod verleugneten und sich statt dessen Phantasien von einer angeblichen Rettung zusammenreimten. Aber sie konnten sich nicht durchsetzen und verschwanden bald, so dass wir heute nichts von ihrer Existenz wissen. Ich weiß, dass ich diese Theorie nicht beweisen kann, aber sie ist durchaus einsichtig. Jesu Anhänger haben ihn als Zentrum ihres Leben gesehen, er war für sie ihr Lebensinhalt und Lebensgrund. Es ist doch nicht verwunderlich, wenn sie ihn nicht einfach aufgeben wollten. Und darüber hinaus kann man nie sicher sein, dass diese Geschichte so tatsächlich passiert ist. Es könnte auch bildlich gemeint sein, zum Beispiel könnte es soviel bedeuten wie 'Jesus ist zwar gestorben, doch wenn wir sein Werk vorm Untergang erretten, wird er uns ewig begleiten.'. Diese Interpretation wird auch von mehreren namhaften Theologen gestützt, die fordern, die Wunder in der Bibel als erfunden zu betrachten und solche Geschichten als Medium der Urgemeinde zu betrachten, um Lebensweisheiten an nachfolgende Generationen weiterzugeben."

Byers setzte zu einer Erwiderung an, aber Mulder, der sich bisher nicht am Gespräch beteiligt hatte, kam ihm zuvor : "Scully, Sie haben eindeutig ihre Berufung verfehlt. Mit ihrem Talent könnten sie bestimmt jeden zum Beitritt in die katholische Kirche überzeugen. Aber bei ihrer letzten Behauptung gehen sie von einer falschen Voraussetzung aus. Die Schriftrolle ist keine Wundergeschichte und sie steht auch nicht in der Bibel. Im Gegenteil, sie wurde seit fast zwei Jahrtausenden unter Verschluss gehalten. Also, wenn ich meinen Enkeln etwas mitteilen wollte, würde ich die Botschaft bestimmt nicht irgendwo auf Nimmerwiedersehen vergraben. Und eine Wundergeschichte ist dieses Dokument auch nicht. Jesus täuscht seinen Tod schließlich nicht mit Hilfe eines Wunder vor. Im Gegenteil, er wirkt völlig hilflos und von seinen Rettern abhängig. Auch die Details wie das Pflanzengift sprechen eher für einen Bericht als für eine erdachte Geschichte."

"Das war ja zu erwarten, dass sie sich wieder einmal auf die Seite ihrer Verschwörerfreunde schlagen. Also, ich hätte in diesem Fall mehr von Ihnen erwartet, Mulder. Schließlich muss der Autor nicht auch der sein, der die Rolle versteckt hat. Sie wurde garantiert ausgesondert, weil sie einfach zu stark den christlichen Vorstellungen widersprachen. Ich hoffe aber, dass ihnen klar ist, dass sie diese Rolle so oder so niemals veröffentlichen dürfen."

"Wieso nicht, Scully? Hier haben wir endlich mal ein Stück unanfechtbare Wahrheit und sie wollen sie einfach verschwinden lassen? Mein Informant hat sein Leben riskiert, nur um das Schweigen zu brechen und sie wollen es weiterführen?"

"Aber was wollen sie denn mit so einer Veröffentlichung erreichen, Mulder? Damit können sie die Jahrhunderte von Kirchenunrecht auch nicht rückgängig machen. Sie würden überhaupt nichts erreichen, denn niemand würde Ihnen wirklich Glauben schenken. Sie würden nur vielen gläubige Christen,die in Jesus Christus Trost finden, mit solchen Lügen sehr weh tun."

"Aber es ist ein falscher Trost, Scully!"

Jetzt reichte es Scully. Das ging nun zu weit. Wütend sprang sie von ihrem Stuhl auf. "Wie können sie es wagen, so überheblich über all diese Gläubigen zu sprechen, als ob diese ihren Glauben wie andere Alkohol oder Drogen benutzen, um ihre Probleme zu verdrängen? Diese Menschen glauben an Jesus und seine Taten und das gibt ihnen Kraft. Und sie, Mulder, sie haben kein Recht zu behaupten, dies wäre alles nur ein falscher Trost. Ich bin wirklich schwer enttäuscht von Ihnen, Mulder." Mit diesen Worte drehte sie Mulder den Rücken zu und verließ wutentbrannt den Raum.

Mulder blieb wie erstarrt auf der Stelle stehen. Was hatte er nur getan? Er war mit Schuld daran, dass Scully einen tödlichen Krebs in ihrem Kopf hatten und nun behauptete er unverfroren, dass der Trost, den Jesus vielen Christen, darunter auch Scully, gab, ein falscher war. Wie konnte er nur so gefühllos sein? Er wandte sich den Lone Gunmen zu. "Tut mir leid, dass es so gekommen ist. Ich war wohl eindeutig zu hart mit meinen Worten."

"Mach Dir deswegen keine Sorgen, Mulder." antwortete Byers.

"Ja, du solltest mal unsere Leserbriefe lesen." fügte Langly hinzu.

"Hebt die Rolle auf. Ich hole sie später." Damit eilte er Scully hinterher.

 

 

VIII. Vor der Zentrale der Lone Gunmen

Krycek beobachtete missmutig von seinem Wagen aus, wie Mulder und Scully in ihr Auto stiegen und davonfuhren. Langsam wurde er diesem Auftrag überdrüssig.

Seine neuen Arbeitgeber hatten ihm Rache an Mulder versprochen und ihm war darüber hinaus eine größere Summe an Geld in Aussicht gestellt worden. Aber er arbeitete nun schon seit Monaten an dieser Sache und hatte bis jetzt noch nichts von beidem bekommen. Abgesehen von seinen Spesen war noch kein einziger Penny überwiesen worden.

Und jedesmal wenn sich eine Gelegenheit ergab, Mulder oder einen der Verräter elegant verschwinden zu lassen, wurde er von dem Konzil zurückgepfiffen.

"Alles zu seiner guten Zeit. Geld alleine macht nicht glücklich und Geduld ist eine Tugend." hieß es dann immer. Wahrscheinlich konnte er froh sein, dass sie ihm nicht mit Bibelzitaten kamen.

Aber worauf wollten sie noch warten? Es war längst bekannt, wer alles in die Sache verwickelt war und es wurde langsam wirklich Zeit, dass man alle Verräter beseitigte und die Sache endlich zu Ende brachte.

Er holte sein Handy aus der Tasche und wählte: "Ich bin es. Mulder und Scully wissen jetzt eindeutig über dem großen Geheimnis und der Lü... ähm, dem Inhalt der Schriftrolle Bescheid."

Beinahe hätte er das verbotene Wort 'Lüge' benutzt. Diesbezüglich waren seine neuen Arbeitgeber sehr empfindlich. Anders als der Cancerman pflegten sie es, die Dinge nicht beim Namen zu nennen und reagierten sehr gereizt, wenn man für ihren Geschmack zu direkt wurde.

"Was soll ich nun tun?" fragte Krycek gelangweilt.

Er war innerlich darauf gefasst, dass man ihm sagte, er solle weiter beobachten und sich nicht einmischen. Um so erfreulicher war die Anweisung, aktiv zu werden und Mulders Wohnung, sein Telefon sowie seinen PC neu zu verwanzen. Wenn er dies erledigt hatte, sollte er sich wieder melden.

Krycek legte auf, startete den Wagen und fuhr los, um sich um diese Kleinigkeit zu kümmern.

 

 

IX. Donnerstag Morgen, FBI Zentrale, J.Edgar Hoover Building

Immer noch betrübt über sein Verhalten gegenüber Scully in der letzten Nacht betrat Mulder am nächsten Morgen sein Büro im Keller der FBI-Zentrale.

Während der gesamten Heimfahrt hatte Scully ihn völlig ignoriert und hatte auf keinen seiner Entschuldigungsversuche reagiert. Sie war wortlos bei sich zuhause ausgestiegen und hatte ihn alleine mit seinen Schuldgefühle gelassen.

Er befand sich diesmal in einer wirklich schlimmen Zwickmühle. Einerseits wollte er die Wahrheit, die er gerade erfahren hatte, nicht für sich behalten. Aber andererseits konnte er auch Scullys Position verstehen. Was würde die Veröffentlichung wirklich erreichen? Vielleicht war es besser, abzuwarten und die Sache weiter zu untersuchen. Er würde damit mit den Lone Gunmen sprechen müssen.

Mulder seufzte laut auf, während er sich an seinen Schreibtisch setze. Vielleicht würde ihn die Arbeit ein wenig von seinem inneren Konflikt ablenken. Er begann also damit, den Rest des Berges von Papieren, der sich seit Montag angesammelt hatte, systematisch durchzuarbeiten.

Als er gerade damit beschäftigt war, die verschiedenen Akten, Memos und Briefe nach Dringlichkeit zu sortieren, fiel ihm auf einmal ein kleines Päckchen entgegen, welches er reflexartig auffing.

Sofort fiel ihm auf, dass es von der selben Person beschriftet worden war, der ihn auch zur Beichte eingeladen hatte. Sofort keimte in ihm seine unbändige Neugier an der Wahrheit wieder auf und verdrängte seine Schuldgefühle beinahe völlig.

Begierig riss er das Päckchen auf. Es enthielt nur eine Videokassette mit der Beschriftung "Vatikan - Die Macht der Päpste. Teil Nr. 4 Papst Johannes Paul I und der Tod. "

Mulder sprang auf und legte das Tape in seinen Videorecorder ein.

Auf einmal hörte er hinter sich, wie jemand eintrat. Er wirbelte herum und sah, dass Scully gerade dabei war, ihren Mantel aufzuhängen. Er war froh, dass sie seine Gegenwart scheinbar nicht zu vermeiden versuchte. Vielleicht hörte sie ihm nun zu.

"Hallo Scully. Haben Sie gut geschlafen? Wegen gestern abend..."

Scully unterbrach ihm augenblicklich mit einer Handbewegung. "Sie kennen meinen Standpunkt in dieser Angelegenheit, Mulder. Wir sollten nicht darüber reden."

Mulder war froh über diese Einstellung. Es schien ihr doch weniger zu Herzen zu gehen, als er befürchtet hatte. Dann jedoch fiel ihr Blick auf die Videohülle in seiner Hand.

"Mal wieder ein neues Alien-Autopsie-Video bekommen? Sie sind wohl inzwischen beim Hersteller dieser Videos abonniert?" meinte sie spöttisch.

Mulder spielte kurz mit dem Gedanken, Scully zuzustimmen und die Kassette dann als angebliche billige Fälschung verschwinden zu lassen. Dann entschloss er sich aber dagegen. Die katholische Kirche belog seit Jahrhunderten Millionen von Gläubigen und er konnte jetzt nicht einfach in die Reihe der Schweigenden einreihen, nur weil seine Partnerin gläubige Katholikin war und er sich ihr gegenüber schuldig fühlte.

"Nicht ganz. Es stammt von meinen Informanten, der mir auch die Schriftrolle in die Hände gespielt hat."

Er erwartete, dass Scully nun ohne Umschweife das Büro verlassen würde, aber diese radikale Reaktion blieb überraschenderweise aus. Mit gefasster Mine drehte sich Scully zu Mulder um und antwortete: "Es scheint so zu sein, dass es diesem 'Informanten' wirklich ernst ist. Nun gut, ich werde Sie nicht daran hindern, diese angeblichen Verschwörung des Schweigens in den Reihen hoher katholischer Würdenträger zu untersuchen. Schliesslich weiss ich, dass sie schon ihr ganzes Leben auf der Suche nach der Wahrheit sind und sowieso nicht locker lassen werden. Sie werden aber bald feststellen, dass sie nur eine Marionette in einem Spiel von jemanden sind, der, aus welchen Grund auch immer, dem gesamten Christentum Schaden zufügen will."

Sie machte eine Pause und als Mulder nicht reagierte, fuhr sie fort mit dem Worten: "Nun schalten sie den Fernseher endlich ein, Mulder. Ich sehe Ihnen doch an, dass sie es kaum erwarten können, mehr über den Inhalt dieser mysteriösen Kassette zu erfahren."

"Und keine Sorge,", fügte sie siegessicher hinzu, "ich werde Ihnen schon beweisen, dass dieses Video nur wieder der Täuschung und Verbreitung von Lügen dient."

Gemeinsam sahen sie sich das einstündige Video an.

Es handelte von der steilen und ungewollten Karriere des Papstes Johannes Paul I. Er hatte immer nur ein einfacher Dorfpfarrer sein wollen, aber ein Kardinal fand Gefallen an ihm und sorgte dafür, dass er gegen seinen Willen rasch in der Kirchenhierarchie aufstieg.

Als der alte Papst starb war der ehemalige junge Dorfpfarrer schon Kardinal und sollte dabei helfen, einen würdigen Nachfolger zu finden.

Damals schrieb er seiner Familie "Gott sei dank bin ich ausser Gefahr". Doch damit hatte er sich getäuscht. Völlig unerwartet und erneut gegen seinen Willen wurde er doch gewählt. Sein Kommentar an die Kardinäle war damals: "Möge Gott Euch verzeihen, was Ihr mir angetan habt!"

Er hatte nie viel für Prunk und übertriebenen Luxus übrig gehabt und trat deswegen während seiner kurzen Amtszeit so bescheiden auf wie es bei seinem gehobenes Amt möglich war.

Als Papst wurde er natürlich nicht geschont. Er musste ständig die Kirche repräsentieren und hohe kirchliche Würdenträger empfangen. Der damit verbundene Stress belastete Ceasare sehr, denn er war herzkrank. Schon nach kurze Zeit verschlimmerte sich seine Krankheit erheblich.

Eines Morgens brachte ihm eine Nonne seinen Morgenkaffe und stellte ihn wie üblich vor das Zimmer des Papstes. Als sie später zurückkehrte, bemerkte sie, dass seine Heiligkeit den Kaffee noch nicht angerührt hatte. Besorgt sah sie nach ihm und fand ihn tot auf.

Später würde der Öffentlichkeit erzählt, es wäre der Sekretär des Papstes gewesen, der ihn gefunden hätte. Die Nonne hatte auch berichtet, dass der Papst Arbeitspapiere in der Hand gehalten hatte, aber auch das wurde abgeändert und es hieß, es wäre das Buch "Die Nachfolge Christi" gewesen.

Schon bald traten die ersten Gerüchte auf, dass der Papst ermordet worden sei. Als Motiv nahm man die einige Jahre später Enthüllung, dass mehrere Milliarden Lira von den Konten der Vatikansbank verschwunden beziehungsweise veruntreut worden seien.

Man spekulierte, der Papst wäre dieser Veruntreuung auf die Schliche gekommen, habe etwas dagegen unternehmen wollen und sei deswegen aus dem Weg geräumt worden. Die Familie hat diesen Gerüchten aber nie Glauben geschenkt und stimmte keiner Autopsie zu.

Für sie war es klar, dass Ceasare auf natürliche Weise gestorben war.

Mulder verfolgte diesen Bericht mit größter Aufmerksamkeit, Scully war zwar weniger gespannt, aber wies Mulder sofort darauf hin, als der Autor des Filmes anmerkte, dass die Theorien über einen angeblichen Mord völlig realitätsfremd wären und nur von einem Autoren erfunden wurde, um mit der angeblichen Wahrheit Geld zu verdienen.

Als der Nachspann kam, griff Mulder zur Fernbedienung und wollte das Gerät abstellen, aber da erschien ein neues Bild auf dem Fernseher: man sah den Rücken eines Mannes in Kardinalstracht und mit Kardinalshut. Mulder fuhr zusammen und stellte den Fernseher lauter.

"Guten Tag Agent Mulder. Inzwischen sollten sie herausgefunden haben, worum es in der Schriftrolle geht. Entschuldigen Sie bitte, dass ich Ihnen mein Gesicht nicht zeige, aber ich hänge an meinem Leben und möchte nicht so enden wie seine Heiligkeit Papst Johannes Paul I, wenn es sich denn verhindern lässt. Aber wenn es Gottes Wille ist, dass ich für die Verkündigung der Wahrheit sterbe, so soll SEIN WILLE geschehen.

Sie, als FBI Agent wissen bestimmt, dass Gerüchte meist einen wahren Kern haben. Ja, seine Heiligkeit wurde wirklich ermordet, aber nicht, weil er einer Veruntreuung auf die Spur gekommen ist. Dieser Vorgang war relativ harmlos und es sind schon wesentlich größere Beträge von der Vatikansbank verschwunden, ohne dass sich jemand darum gekümmert hätte.

Nein, es ging um die Schriftrolle, die ich Ihnen gestern zugespielt habe, Agent Mulder. Sie ist schon seit langem im Bestand eines geheimen Vatikan-Archivs zu dem nur sehr wenige Angehörigen des Vatikans Zutritt haben. Theologen und Wissenschaftler, die nicht dem Vatikan angehören, dürfen nicht mal in die Nähe dieses Archivs kommen.

Seine Heiligkeit wollte dies ändern und alle Archive der Öffentlichkeit zugänglich machen. Er hielt es für unverantwortlich diese Dokumente, die zum größten Teil noch aus der Zeit Christi stammen, der Menschheit vorzuenthalten.

Zu mir sagte er einmal:' Die Autoren dieser Schriften haben sich die Mühe gemacht ihr Wissen und ihre Erlebnisse niederzuschreiben, damit die Nachwelt davon profitieren kann. Warum durchkreuzen wir ihre Pläne und machen ihre Bemühungen zunichte, indem wir diese Aufzeichnungen unter Verschluss halten. Wissen ist für alle da, nicht nur für ein paar Privilegierte. Der Vatikan und auch die katholische Kirche gerät immer mehr unter Beschuss, weil wir angeblich so altmodisch und verstaubt sind. *Eine Religion, die unter dem Staub von Jahrhunderten begraben ist*. Wir sollten zeigen, dass wir auch aufgeschlossen sein können und bereit sind unser Wissen zu teilen.'

Es wäre danach aber nur noch eine Frage der Zeit gewesen, bis man diese Schriftrolle entdeckt hätte. Aber der Geheimdienst des Vatikans - die frühere Inquisition - war mit diesem Plan in keiner Weise einverstanden. Er und auch verschiedene hohe kirchliche Würdenträger sahen ihre Macht bedroht und handelten in Windeseile. Die Krankheit des Papstes passte ihnen ausgezeichnet. In seine letzte Mahlzeit haben sie ihm ein Gift gegeben, das Herzstillstand auslöst, aber schon nach wenigen Stunden vollkommen abgebaut und nicht mehr nachzuweisen ist. Fragen Sie mich jetzt nicht, wie es heißt, das weiß ich nicht. Nur für den Fall, dass er diese Mahlzeit - die er immer auf seinem Zimmer einnahm - nicht gegessen hätte, war auch der Kaffee vergiftet, den er aber nicht mehr anrührte."

Damit endete die Aufzeichnung abrupt. Mulder wartete noch kurz, ob vielleicht noch etwas folgte, schaltete dann aber aus und sah seine Partnerin an, die kopfschüttelnd in ihrem Sessel saß.

"Da haben wir jetzt aber mal wirklich einen Größenwahnsinnige par excellence und dieser ist nicht einmal besonders einfallsreich. Sein Worte erinnern mich stark an dieses Buch, was ich vor ein paar Jahren gelesen habe .Es wurde auch in der Dokumentation, die wir uns gerade angesehen habe, erwähnt. Eine sehr gute übrigens, sehr informativ und wahrheitsgetreu. Nicht voll von angeblichen Verschwörungen und Mordkomplotte wie die Geschichte, mit der uns ihr 'Informant' beglückt. Wahrscheinlich hat er irgendwie von ihrem Spitznamen, 'Spooky', erfahren und hofft nun, auf diese Weise in die Medien zu kommen. Wir sollten seine Spur verfolgen, wer so vernarrt darauf ist, Aufmerksamkeit zu erlangen, kann schnell auf die Idee kommen, ein Kapitalverbrechen zu begehen, nur um im Lampenlicht zu stehen. Aber seine Behauptungen, und das müssen sie wohl zugeben, sind völlig unglaubwürdig und rechtfertigen in keiner Weise weitere Ermittlungen."

Anstelle sich zu rechtfertigen, antwortete Mulder nur: "Ich würde sagen, Scully, sie sollten hoffen, dass nicht ihr Spitzname bekannt wird. Als 'Icelady' können sie sich nämlich garantiert von ihrem täglichen Berg an Liebesbriefen verabschieden."

 

 

X. Drei Stunden später

Drei Stunden später saß Scully alleine - Mulder hatte das Gebäude verlassen, um Mittagessen für Scully und ihn zu holen - an ihrem Computer und schrieb einige Nachrichten in ihren Stammnewsgroups. Im Hintergrund liefen die Lokalnachrichten und berichtete über die zahlreichen Gewalttaten, die sich wieder einmal in der Nacht ereignet hatten. Im Moment war sie damit beschäftigt in alt.revelations.psi eine beherzten Widerspruch zu verfassen.

From : Dana Scully <d.scully@fbi.gov>

Subject : Re: Hütet Euch vor Orden der Galaktischen Erleuchtung!

Newsgroups: alt.revelations.psi

The Revelator wrote :

>Hi Wahrheitsliebende!

Hi Revelator! Ich hatte dich schon fast vermisst. Fast ;-)

>Hier eine ausdrückliche Warnung an Euch alle: Falls ein Mann oder eine Frau von einer Gruppe mit dem Name 'Orden der Galaktischen Erleuchtung' bei euch an die Tür klopft, öffnet AUF GAR KEINEN FALL! Es könnte Euch das Leben retten.

Nun dramatisiert du mal wieder. Ich erinnere mich noch deutlich an deine Mail mit dem Subject 'Psi-Geister saugen euren Geist aus'. Damals hast du behauptet, wir würden alle von Wesen, die von der Astralebene kommen, mental ausgesaugt, wenn wir keine speziellen Schutzamulette anfertigen. Nun, ich trage immer noch nur mein Kreuz und bis jetzt bin ich (und alle anderen, soweit ich das beurteilen kann) noch bei bester geistiger Gesundheit.

>Wahrscheinlich habt ihr noch nie etwas von dieser Gruppe gehört, sie ziehen gewöhnlich nicht von Tür zu Tür sondern sprechen immer ganz gezielt mögliche neue Mitglieder an. Aber nun ist es Zeit, dass alle Mitglieder in eine höhere Existenzebene übergehen. Dies gesteht mit Hilfe eines besonderem Tor. Nach den Lehren des Orden kann sich dieses Tor nur alle paar hundert Jahre öffnen und dann nur durch die geistige Anstrengung von einem Auserwählten oder einer Auserwählten.

>Er oder sie muss durch die Gegend ziehen und sich Menschen suchen, die eine bestimmte mentale Struktur besitzen. Diese Struktur hat etwa ein Mensch unter 500, wenn nicht sogar weniger. Wenn er einen Spender gefunden hat, so berührt er ihn mit seinen Finger und entzieht ihm alle mentale Energie.

Ich hasse zwar auch aufdringliche Gläubige, die mir an der Tür ihre Religion aufdrängen wollen, aber ich glaube, SO extrem ist die ganze Sache nun auch wieder nicht. Und wieso muss er denn diesmal suchen und von Tür zu Tür wandern, wo der Orden ansonsten scheinbar seine Mitglieder aus der Ferne findet? Bin ich hier die einzige, der das seltsam vorkommt?

>Dabei kommt es zur völligen Zerstörung aller Gefässen im Gehirn. Die gesamte Hirnmasse verflüssigt sich und wird zu einem zähen Brei, weswegen man den Vorgang auch medizinisch als 'mentale Liquifaktion' bezeichnet.

Du hattest schon immer einem Flair für selbst erdachte lateinische Kunstworte. Wohl wieder einmal den Stowasser ausgekramt :->. An alle Leichtgläubigen in dieser Gruppe, vor allem Cyberia und Truthtaker, ich habe in den wichtigsten medizinischen Datenbanken und sogar in einer für Esoterik nachgeschaut und in keiner wird dieses Wort auch nur erwähnt! Also glaubt nicht, dass dies ein wirkliche Ausdruck ist, den auch euer Hausarzt verwende würde!!

>Ich weiß weder, wer der Auserwählte ist noch wo er genau seine Opfer sucht, aber ich weiß, dass er oder sie nur die nächsten zwei Wochen Zeit hat, um das Tor zu öffnen bis es sich für die nächsten Jahrhunderte schließt und dass er irgendwo in den USA unterwegs ist, sehr wahrscheinlich in einer Großstadt an der Ostküste.

Und woher beziehst du diese Informationen? Bist du etwa selbst einer dieser Ordenbrüder und versucht noch auf die Schnelle neue Mitglieder zu werben? Dafür, dass diese Organisation völlig geheim ist und garantiert den Zeitpunkt ihrer 'Spendensammlung' nicht veröffentlichen wird, bist du erstaunlich gut informiert.

>Also : Öffnet niemanden, von dem ihr nicht sicher sein könnt, dass er nicht an eurem Gehirn Interesse hat.

Eine Art moderner Frankenstein also? Gibt es nicht sogar einen Film, wo jemand durch die Gegend zieht und Gehirne einsammelt, die er dann in einfachen Einmachgläsern weiterleben lässt?

>Hier ein paar weitere Details zu dem Orden, ihren Psi-Kräfte und dem genauen Vorgang der mentalen Absorption.

Scully wollte sich gerade über die quasi-wissenschaftlichen Erklärungen des Revelator hermachen - sie war ebenso berühmt wie berüchtigt im ganzen alt.revelations.* Zweig für ihre harschen Kritiken - als auf einmal eine Nachricht im Radio ihre Aufmerksamkeit erregte.

"Wie gerade bekannt gegeben wurde, wurde heute am frühen Morgen Kardinal Verhoofen tot in seinem Zimmer aufgefunden. Wie Kirchenvertreten mitteilten, verstarb er friedlich während des Schlafes, über die genaue Todesursache wurden keine weiteren Informationen bekannt. Der aus der Region um Washington stammende Verhoofen galt stets als Vertreter für einen offene Kirche, die den Kontakt zu jeden einzelnen Gläubigen sucht und diesen aktiv am kirchlichen Leben teilhaben lässt. Auch in der Predigt, die er gestern abend während einer Messe hier in Washington, DC hielt, forderte er die Anwesenden dazu auf, offen aufeinander und auf die Kirche zuzugehen, um auf diese Weise christliches Nächstenliebe aufgrund von gegenseitiger Offenheit und Zuwendung praktizieren zu können."

Auf die Worte des Nachrichtensprecher folgte ein kurzer Auszug aus der erwähnten Predigt. Schon die ersten Worte ließen Scully erschaudern. Der Mann auf dem Videoband hatte zwar versucht, seine Stimme zu verstellen, aber sie erkannte dennoch sofort, dass diese im Radio mit der auf dem Video übereinstimmten. Kamen die Informationen, die Mulder erhalten hatte, etwa doch näher an die Wahrheit heran als sie gedacht hatte?

Wie auf ein geheimes Stimmwort betrat Mulder in diesem Moment, beladen mit mehreren Tüten Mittagessen, das Büro. Sofort bemerkte er die unbehagliche Stimmung von Scully, ließ die Tüten fallen und zog seine Waffe. Mit einem lauten Krach fiel das Essen auf dem Boden und verteilte sich dort augenblicklich.

Scully drehte sich rasch um. "Mulder! Was haben Sie getan? Wieso werfen sie all diese Köstlichkeiten auf den Boden, nur um ihre Waffe zu ziehen?"

Sichtlich erleichtert atmete Mulder laut aus und steckte seine Waffe zurück in den Halfter. "Tut mir leid, Scully, und das meine ich jetzt ehrlich. Ich durfte fast eine halbe Stunde auf diese Köstlichkeiten warten und habe dem Besitzer noch einige Dollar extra gegeben, um auch wirklich frische Zutaten zu bekommen. Aber warum sitzen sie dann hier umgeben von einer Aura, als befände sich ein Psychopath in der Nähe?"

"Der Grund ist einfach, Mulder. Ich habe gerade von dem Tod einer Ihrer Informanten erfahren."

Sofort verzog Mulder seine Gesicht zu einer Grimasse. Scheinbar rechnete er nun mit dem schlimmsten. "Ist es einer der Lone Gunmen? Haben diese Schweine Langly, Frohike oder Byers beseitigt, weil sie zuviel wussten?"

"In der Richtung kann ich Sie beruhigen. Sie kennen das Opfer erst seit kurzem. In den Ein-Uhr-Nachrichten wurde gerade von dem plötzlichen Tod eines Kardinal, Kardinal Verhoofen genauer gesagt, hier in Washington berichtet. Er wurde heute morgen tot in seinem Zimmer aufgefunden. Angeblich ist er einem natürlichen Tod gestorben. Aber ich habe die Stimme des Mannes wiedererkannt. Sie war die ihres Informanten auf der Videokassette!"

Keine fünf Minuten später saßen Mulder und Scully bereits in ihrem Dienstwagen und kämpften sich durch den Verkehr der Hauptstadt.

"Wohin fahren wir nun genau, Mulder? Zu den Lone Gunmen?"

"Nein, die können selbst auf sich aufpassen. Ich werde sie anrufen und ihnen sagen, sie sollen für ein paar Tage untertauchen, falls ihnen etwas an ihrem Leben liegt. Vertrauen sie mir, die werden dann schneller verschwunden sein, als ich auflegen kann. Aber mir ist ein Ort eingefallen, wo wir vielleicht noch Informationen bekommen können, wenn wir uns beeilen."

Scully überlegte kurz, dann fragte sie: "Meinen sie etwa die Kirche, in der sie den Kardinal zum ersten Mal begegnet sind? Mmh, der Priester könnte tatsächlich etwas wissen."

"Der Kardinal hat ihm auf jeden Fall vertraut. Schließlich kann man nicht einfach verkleidet in die nächste Kirche gehen und dem Priester sagen, man würde heute den Gläubigen die Beichte abnehmen, zumindestens nicht, wenn man nicht will, dass jemand davon erfährt. Nein, mein Informant hat sich ganz bewusst eine Kirche ausgewählt, bei der er sicher sein konnte, dass dort sein Treffen geheim bleiben würde. Und vielleicht hat er auch den dortigen Priester eingeweiht oder etwas dort hinterlassen, das uns der Wahrheit noch ein Stück näher bringen kann."

"Dann bleibt nur noch zu hoffen, dass wir die ersten sind, die auf diese Idee gekommen sind."

Mulder wandte sich erstaunt Scully zu: "Gestern waren sie so unglaublich wütend auf mich, als ich mich auf die Seite der Lone Gunmen stellte, dass ich schon gedacht habe, sie würden nie wieder mit mir nur ein Wort wechseln. Und nun sind sie kaum zu bremsen, um an mehr Informationen zu diesem Thema zu bekommen."

"Also, 'kaum zu bremsen' ist wohl eindeutig übertrieben", wehrte Scully Mulders Vorstoß ab," ich bin immer noch davon überzeugt, dass es ein großer Fehler wäre, die Rolle zu veröffentlichen und würde in diesem Fall wirklich nie wieder mit Ihnen sprechen. Aber wenn der angebliche natürliche Tod des Kardinals in Wirklichkeit Mord war, dann werde ich nichts unversucht lassen, um dies nachzuweisen. Und die einzige Person, die uns vielleicht zu den Hintermännern führen kann, ist der Pastor, zu dem wir gerade fahren."

"Geschickt aus der Affäre gezogen, Scully" erwiderte Mulder anerkennt, ein breites Lächeln auf dem Gesicht bevor er sich wieder auf den Verkehr konzentrierte.

"Nun hören sie mal genau zu, Mulder ..."

 

 

XI. St Pattricks Church in Washington, DC 14 Uhr

Da er in der Nähe der Kirche keinen Parkplatz hatte finden können stellte Mulder den Wagen kurzerhand ins Halteverbot ab.

"Wenn wir endlich mal eine Verschwörung und eine zwei Jahrtausende alte Lüge aufdecken können, ist mir das ein Strafzettel wert," antwortete er schlicht auf Scullys Bedenken.

Mit großen Schritten hasteten die beiden auf die Kirche zu, in der Mulder noch vor kurzem "gebeichtet" und Informationen direkt aus der Hand des Kardinals empfangen hatte.

Als sie eintraten, gewöhnten sich ihre Augen nur langsam an das im Inneren herrschenden Dämmerlicht. Ungeduldig sah sich Mulder nach dem Pastor um. Aber er entdeckte lediglich eine ältere Frau, die gerade eine Vase mit Blumen auf den Altar stellte. Mulder eilte auf sie zu.

"Guten Tag Ma'm, ich bin Special Agent Fox Mulder und dies ist meine Partnerin Special Agent Dana Scully." stellte er sich vor, wobei er und Scully ihre Ausweise zeigten.

"Können Sie uns sagen, wo wir den Pastor finden können?"

"Ist etwas passiert?" fragte die Frau erschrocken.

"Nein, aber wir glauben, dass er uns wahrscheinlich bei unseren Ermittlungen helfen kann." beruhigte sie Mulder.

"Nun ja, ich denke, dass Pastor Grimmle im Pfarrhaus ist und ...ähm

...meditiert oder an der Predigt für die 18 Uhr-Messe arbeitet."

"Und wo finden wir das Pfarrhaus?" Mulder versuchte die Frage nicht allzu ungeduldig zu stellen, aber eine innere Stimme drängte ihn zur Eile.

"Wenn Sie draußen nach rechts gehen und dann um die nächste Ecke wieder rechts können Sie es gar nicht verfehlen. Es ist ein rotes Backsteinhaus."

Wortlos drehte sich Mulder um und hastete aus der Kirche.

"Vielen Dank für Ihre Hilfe." sagte Scully noch, bevor sie ihrem Partner hinterhereilte.

"Mulder warum rennen Sie denn so?" fragte sie, als sie ihn eingeholt hatte.

"Ich bin schon zu oft nur ein paar Minuten zu spät gekommen, um einen Zeugen noch lebend vorzufinden. Ich bin es langsam leid, dass meine Widersacher mir immer um zwei Schritte voraus sind," erklärte Mulder, während er weiterhastete.

Sie kamen beim Pfarrhaus an. Als Mulder gerade die Hand hob, um anzuklopfen, ertönte ein Schuss aus dem Inneren. Mulder wurde blass vor Wut.

"Nicht schon wieder!" schrie er laut auf. Vor seinem inneren Auge sah er noch einmal seinen Vater vor sich, wie dieser ihm vor längerer Zeit etwas hatte sagen wollen und von dem Rattenjungen dafür ermordet worden war.

Mulder und Scully zogen ihre Waffen und Mulder trat die Tür ein. Mit gezückten Waffen stürmten sie ins Haus und fanden nach kurzer Suche Pastor Grimmle in seinem Arbeitszimmer. Er lag mit dem Oberkörper auf seinem Schreibtisch. Rechts neben ihm lag eine noch rauchende Pistole. Scully prüfte seinen Puls an der Halsschlagader, aber es war bereits zu spät.

"Warum hat er das getan?" fragte sie leicht verwundert. Sie drehte sich zu Mulder um. "War vielleicht die Schriftrolle doch nur eine Täuschung und er konnte es nicht ertragen, mit darin verstrickt zu sein?"

"Er hat sich nicht selbst erschossen, Scully," antwortete Mulder, dessen Blick auf dem Schreibtisch ruhte.

Scully sah ihn irritiert an. "Mulder, es gibt keine Anzeichen für einen Kampf oder dafür, dass der Pastor Widerstand geleistet hat. Warum glauben Sie, dass er ermordet wurde?"

"Sehen Sie sich mal die Position der Schreibutensilien an," forderte Mulder sie resigniert auf. "Würden Sie als Rechtshänderin ihren Füller und Kugelschreiber LINKS positionieren? Wohl kaum! Genauso wenig würde ein LINKShänder sie rechts positionieren. Sie stehen auf der LINKEN Seite, aber ein Linkshänder würde sich wohl kaum mit Rechts erschießen!"

"Er könnte ambidexter gewesen sein, also beidhändig!" wandte Scully ein.

"Warum dann die Positionierung der Utensilien auf der linken Seite?" konterte Mulder.

"Aber warum sind keine Kampfspuren zu sehen?" beharrte Scully.

"Nun, weil der Pastor gerade 'meditierte' oder besser gesagt: er war über seiner Predigt eingeschlafen, wie wohl auch eine Menge seiner Schäfchen," war Mulders ironische Antwort.

Scully setzte gerade zu einer geharnischten Antwort an, als sie beide einen leisen Laut hörten. Er kam aus dem Wandschrank und hörte sich wie ein Niesen an, das jemand hatte unterdrücken wollen. Mulder hob wieder seine Waffe und ging auf den Schrank zu. Als er nur noch ein paar Schritte davon entfernt war, flog auf einmal die Tür auf und stieß ihm ins Gesicht, so dass er das Gleichgewicht verlor und nach hinten taumelte. Krycek schoss aus dem Schrank hervor.

Bevor Scully sich von ihrer Überraschung erholen und auf den Mann schießen konnte, der ihre Schwester, Mulders Vater und beinahe auch Skinner ermordet hatte, hatte der Ratboy Mulder bereits mit seinem gesunden Arm hochgezogen und seinen künstlichen Arm um dessen Hals gelegt, so dass Mulder wie ein lebendes Schild vor ihm stand. Krycek legte die Pistole an Mulders Schläfe.

"So sieht man sich wieder!" kicherte er hämisch. "Ist das Dynamische Duo immer noch unzertrennlich und auf der Suche nach Beweisen? Tja, tut mir leid, aber ich kann leider nicht zu einem Schäferstündchen bleiben, Miss Scully. Ich werde erwartet. Legen Sie die Waffe auf den Boden und schieben Sie sie mit dem Fuß zu mir herüber. Andernfalls können Sie schon mal den Nachruf für ihren werten Partner verfassen. Wie werden Sie ihn darin nennen: Fox oder Spooky Fox?"

Weiß vor Wut, dass dieser Mörder schon wieder entwischen würde, gehorchte Scully den Anweisungen.

"Braves Mädchen," lobte Krycek sie mit einer Herablassung, die sie zusammenzucken ließ.

Er ging mit Mulder zusammen in die Knie und zwang seinen 'Ex-Partner', die Waffe mit Daumen und Zeigefinger aufzuheben und ihm zu geben. Er steckte sie ein und ging dann rückwärts aus dem Zimmer, wobei er Mulder weiterhin festhielt und mit der Waffe bedrohte.

Kaum waren sie auf der Straße, da kam auch schon eine schwarze Limousine mit schwarz getönten Fensterscheiben herangefahren. Sie hielt unmittelbar hinter Krycek, welcher Mulder von sich stieß und ihm aus reiner Boshaftigkeit noch einen Schlag mit seinen künstlichen Arm auf den Kopf verpasste, so dass dieser vor Schmerzen halb bewusstlos auf die Knie fiel.

"Ich habe zwar nur noch einen Arm, bin dafür aber nicht weniger gefährlich. Schau Dir regelmäßig über die Schulter, Mulder und schlaf nicht mehr im Dunklen. Du weißt nie, wann Deine Feinde sich dazu entschließen, endlich mit Dir kurzen Prozess zu machen. Ich würde sogar für das Privileg bezahlen, wenn ich derjenige sein dürfte, der Dich ins Jenseits befördert!" zischte er gehässig, drehte sich um, öffnete die Wagentür und sprang hinein, woraufhin die Limousine davonraste.

"Mulder, sind Sie verletzt?" Scully kam angerannt.

"Nein, es ist nichts passiert, was nicht ein paar Aspirin und vielleicht auch ein Kuss heilen könnten," scherzte Mulder etwas mühsam. Er hatte stechende Kopfschmerzen.

"Sie werden es also überleben, wenn Sie jetzt schon wieder Witze reißen können." meinte Scully erleichtert.

"Konnten Sie das Nummernschild des Wagens erkennen, Scully?" fragte Mulder, ohne sich große Hoffnungen zu machen.

"Nein, es war völlig dreckverkrustet, tut mir leid." bedauerte Scully.

Innerlich kochte sie vor Wut, dass Krycek erneut entwischt war.

"Mulder, wir müssen den Mord melden!"

"Ja," sagte er teilnahmslos. Er war enttäuscht und gleichzeitig unglaublich darüber aufgebracht, dass Krycek ihm schon wieder zuvorgekommen war und ihm dann auch noch hatte entwischen können.

 

 

XII. Eine halbe Stunde später

Inzwischen waren die Polizei und die Spezialisten der Spurensicherung im kleinen Pfarrhaus angekommen und hatten ihre Arbeit aufgenommen. Da Scully und Mulder sich keine neuen Erkenntnisse von der Untersuchung erhofften, verließen sie den abgesperrten Bereich und stiegen in ihren Wagen.

Die Wut, die in ihnen hell aufloderte, war real greifbar. Beide waren vereint in ihrem unbeschreiblichen Hass auf den Mann, der ihnen mehr als jeder anderer Leid zugefügt hatte, der Mann, der in seiner Sucht nach Geld, Macht und eigenem Vorteil selbst über Leichen ging und keinerlei Moral oder Respekt vor Menschen und ihren Gefühlen zu kennen schien, wenn es darum ging, seine Ziele zu erreichen.

Doch zu diesem sie verbindende Gefühl mischte sich auch Gedanken, die zwischen Ihnen eine starke Spannung aufbauten. Wie unausgesprochene Fragen hingen sie zwischen beiden. Scullys Frage nach dem Sinn dieser Suche nach einer angeblicher Wahrheit und ihr Glaube, dass nichts es rechtfertigte, Millionen von Gläubigen mit dieser Wahrheit zu beleidigen stieß auf Mulders nun endgültig erwecktem Verlangen danach, alles aufzudecken, was einige wenige Machtbesessene so sorgsam zu verbergen versuchten. Aber keiner von beiden sprach auch nur ein Wort während sich Scully durch den Verkehr kämpfte.

Sie hatten etwa die Hälfte ihres Weges zurückgelegt, als Mulders Handy zu klingeln begann.

"Mulder ... Ahh, Guten Tag, Sir ... wir sind gerade auf dem Rückweg zum Ihnen, im Pfarrhaus konnten wir nichts mehr ausrichten ... Was? Ein neuer Todesfall, der vielleicht mit unserem zusammenhängt? Einen Moment, ich schalte auf Freisprechen."

Mulder drückte einen Knopf auf seinem Handy und sofort ertönte Skinners im Wagen.

"Mulder, Scully, es wurde gerade eine halb verbrannte Leiche entdeckt. Die Ehefrau von Professor Rosenberg, der hier in Washington einen Lehrstuhl bekleidet, hat sie vor wenigen Minuten in ihrer Wohnung gefunden. Wir müssen davon ausgehen, dass es sich um ihren Ehemann handelt. Wir wissen es zwar noch nicht genau, aber anscheinend wurde er in seiner Wohnung überrascht und von hinten brutal niedergeschlagen. Dann hat der Täter ihm eine Art Gewand, wahrscheinlich nach einem Design aus dem Mittelalter, angezogen und ihn in der Dusche verbrannt. Fahren Sie augenblicklich zur Wohnung. Ich hoffe, dass sie diesen äußerst brutalen Mord so schnell wie möglich aufdecken."

Entsetzt starrten sich Scully und Mulder an. Keiner von beiden bemerkte, wie Skinner auflegte. Nach einigen Sekunden des Schweigen begann Mulder zu sprechen: "Es scheint so, dass sich einige Personen in der kath. Kirche dazu entschlossen haben die Ketzervebrennung wieder einzufühen". Während Scully sie ihr gesamtes Können am Steuer einsetzte, um sie so schnell wie möglich zum Tatort zu bringen, lehnte sich Mulder in seinem Sitz zurück und überlegte, wie er jetzt weiter vorgehen sollte. Scully hatte ihm ganz deutlich gesagt, dass sie es für grundverkehrt hielte, die Schriftrolle zu veröffentlichen. Und er nahm nicht an, dass dieser brutale Mord irgend etwas an ihrer Einstellung geändert hatte.

Auch wenn sie es abstritt, so fand sie wohl doch ein wenig Trost in ihrem Glauben. Den konnte er ihr doch nicht nehmen. Sicher ging es vielen Menschen so wie seiner Partnerin. Auch wenn es ein falscher Trost war und auf einer Lüge basierte, konnte er ihn all diesen Menschen nehmen?

Was würde er selber tun, wenn man ihm sagen würde, dass es keine UFOs und Außerirdischen gebe und all die UFOs, die im Laufe der Jahrzehnte gesichtet worden waren, nur geheime Militärflugzeuge und die Aliens genetisch mutierte Menschen waren?

Was würde er tun, wenn all das, woran er glaubte sich als Lüge herausstellen würde? Die weitere Verfahrensweise mit der Schriftrolle würde er sich also gründlich überlegen müssen!

Sie musste gut versteckt werden, damit die Verschwörer aus dem Vatikan sie nicht mehr in die Hände bekamen. Vorläufig war sie noch sicher bei den Lone Gunmen, aber auf die Länge der Zeit brauchte er ein besseres Versteck. Auch darüber würde er noch nachdenken müssen....

ENDE

Fenster schließen